Eigentlich bin ich introvertiert. Nicht. Nur ein bisschen. Oder?

Das ist ja so typisch für Schriftsteller. Oder doch nur klischeehaft? Und stimmt das eigentlich?

 

Ich bin introvertiert. Aber das glaubt mir sowieso niemand. Ich bin in den sozialen Medien unterwegs, habe eine Homepage, ich halte Lesungen und führe einen Blog. In meiner privaten Chronik bei Facebook breite ich mein ganzes (?) Privatleben aus. Es gibt jede Menge Bilder von mir, bewegte sowie Stillleben.

Da kann doch nur jemand hinterstecken, der sich gern ins Rampenlicht stellt und in den Fokus rückt. Jemand, der konsequent jedes Foto mit «Writerslife» oder «Autorenleben» hashtagt, auch wenn es nur das Häufchen im Katzenklo oder der obligatorische Rotwein bei der Abendlektüre ist.

 

Man reiche mir mehr Klischees. Und Wein. Merlot, bitte.

 

The truth is out there.

 

Schreiben ist eine Sache, die weitestgehend, wenn ich mich nicht gerade einmal im Jahr in der Lesezeit in Voerde ins Schaufenster setze oder wöchentlich am Freitag in der Kostbar sitze und arbeite, im privaten Raum stattfindet. Vorzugsweise im wirklich stillen Kämmerlein, wo ich ungestört bin. Da geht es mir nicht allein so, viele Autoren, wenn nicht sogar die meisten, bevorzugen ein ruhiges Arbeitszimmer. Die wenigsten mir bekannten suchen öffentliche belebte Plätze und arbeiten dort. Natürlich sind diese für die Inspiration oft wichtig und gut, für die Recherche in manchem Fall sogar unerlässlich, aber das konzentrierte Arbeiten am Text, sei es das Schreiben an sich oder das Überarbeiten, kann eigentlich nur dann stattfinden, wenn man die Möglichkeit hat, ungestört auf die Handlung einzulassen. So viel also zum Stereotyp des Autors.


Mir persönlich geht es oft so, wenn ich Monate oder Jahre an einem Buch gearbeitet habe, und dann Passagen daraus lese, dass ich feststelle: „Oh, das hast DU geschrieben!?“ Ein Signal für mich, mir mit der Überarbeitung Mühe zu geben und Zeit zu lassen. Nicht, weil der Text an sich mir fremd ist oder ich das nicht gern lesen würde. Über einen so langen Zeitraum verändert sich die Wahrnehmung für das Selbstgeschriebene, gegebenenfalls ändert sich der eigene Sprachduktus durch die Arbeit am Buch. Vielleicht ändert sich sogar der geplante/geplottete Inhalt. Diese Stellen zu finden und an das, was das Buch werden soll, anzupassen, ist mitunter die aufwendigste Arbeit. Oft auch eine schmerzliche. Besonders dann, wenn man Stellen streicht oder stark verändert, die man ursprünglich großartig fand und für Sternstunden der Literatur hielt. Die man als Schlüsselmomente erachtete, die aber dann einfach nicht mehr dorthin gehören.


Wenn man ein, zwei Jahre geschrieben hat, dann zwei Monate überarbeitet und danach immer noch nicht die Finger davon lässt, kommt am Ende eventuell ein völlig anderes Buch dabei heraus als ursprünglich geplant.
Einerseits bekommt der Leser diese Kapitel nicht zu Gesicht, auch der lange Bearbeitungsprozess wird für ihn nicht deutlich, wenn er später das fertige Buch in den Händen hält. Gerade beim Überarbeiten bin ich besonders froh, dass mir niemand über die Schulter schaut. Andererseits wäre manchmal ein bisschen Szenenapplaus nett. Schließlich ist diese Phase stressig und emotional, der Keksverbrauch immens. Änderung und Angleichung können das Buch verbessern; zu viel davon können es aber auch zerstören. Ein Teufelskreis.

 

Was hat das nun mit der Introversion zu tun?

 

Diese Prozesse können glücklicherweise im Stillen passieren, sie finden nicht vor einer Kamera statt, wo ich etwas nicht ungeschehen machen kann, womöglich noch vor Live-Publikum. Ich werde nicht sofort bewertet. Ich kann mir sehr lange überlegen, ob ich das schreiben möchte, was mir durch den Kopf geht. Ich kann ausprobieren, wie ich es ausdrücken will. Das lässt mir viel Freiraum. Aber ich weiß im Umkehrschluss eben auch nicht, wie die Rezeption ausfallen wird, weil es kein oder nur wenig Feedback während des Schreibens gibt.
Die Tatsache, dass ich bei der Arbeit nicht beobachtet werde, nimmt Druck aus dem Schaffensprozess. Den ich mir an anderer Stelle dann wieder selbst mache. Die oben bereits erwähnten Deadlines, ein strukturierter Arbeitstag, Analyse von Marketingmaßnahmen, Antizipation von Reaktionen und so weiter.


Bei KSL habe ich eins immer wieder gehört und schließlich verinnerlicht: Machen ist König. So viel Sicherheit mir meine Planung und Reflexion auch geben, irgendwann muss ich loslassen. Mit der Konsequenz, sichtbar zu werden. Das Innere nach außen zu kehren und zu präsentieren. So soll es sein, das ist Sinn und Zweck der Schriftstellerei. Dennoch gehen Herz und Hirn da getrennte Wege.

 

Rollenspiele

 

Als ich noch im Angestelltenverhältnis für eine große deutsche Bank gearbeitet habe, hatte ich eine andere Einstellung zur Arbeit. «Machen, was erwartet wird.» Ich hatte eine Stellenbeschreibung, Kompetenzen und klare Aufträge, dafür gab es pünktlich Gehalt und Benefits. Aber auch: Kollegen, Chefs und Kunden. Jeden Tag. Leistung, die Leiden schafft.
Jeden Tag in eine Rolle schlüpfen, ein Kostüm überstreifen und benchmarkorientiert agieren. Monitoring. Bullshit-Bingo.
Meine Protagonisten Solveig und Matthias führen in «Schmerzhaft» folgenden Dialog zu diesem Verhalten:


 „Willst du damit sagen, dass du dich verbiegst?“, fragte er.
„Ich spiele eine Rolle.“
„Das tun wir alle. Ständig. Ständig eine andere.“


Irgendwo zwischen verbiegen und vorspielen lag die Wahrheit, wenn ich auch dem dreißigsten Kunden am Tag noch freundlich und wohlwollend begegnete, während ich eigentlich gedanklich schon abgeschaltet hatte. Wenn ich mein Workpackage abgearbeitet habe, obwohl ich dreißig Prozent davon als sinnlos betrachtete und es bestimmt vierzig Prozent auch waren. Wenn ich «nein» sagen musste, obwohl ich «ja» dachte und fühlte. Wenn ich die Wahrheit dehnte und für das Unternehmen handelte, statt menschlich.

 

Ich bin Leisetreter, wobei die Betonung auf dem «leise» liegt; ich trete nicht gern.

 

Der Empath in mir rebellierte schon eine Weile, zumal parallel mein Zweitberuf versprach, diese Diskrepanz zu mindern. Bis zum endgültigen Ausstieg dauerte es gut zwei Jahre, aber mein Drang nach flexiblerer Zeiteinteilung, mehr Selbständigkeit und partieller wie zeitweiser Isolation dankt es mir auch heute noch. [Diagnosen über eine Störung aus dem Autismusspektrum stimmen Sie bitte mit meinem Psychologen ab. Danke.] Natürlich muss ich als Freiberufler auch unternehmerisch denken und so manches Mal wünsche ich mir, dass ich einfach «geschäftspolitische Gründe» vorschieben könnte, wenn ich mich aus der Affäre ziehen will oder muss oder sollte. Wobei – warum eigentlich nicht?
Ich mag diesen Terminus. Aus geschäftspolitischen Gründen beantworte ich keine Messenger-Nachrichten, die von vornherein auf ein Sinnlosgespräch hinauslaufen. Aus geschäftspolitischen Gründen sehe ich von bestimmten Kooperationen ab. Aus geschäftspolitischen Gründen gebe ich meine Handynummer nicht öffentlich preis. Aus geschä- ...

Mimimi?

 

Der Nachteil an der ganzen Sache ist, dass ich als bekennende Selfpublisherin nicht einfach in meinem Arbeitszimmer sitzen bleiben kann und sich distributive wie werberische Dinge von allein erledigen. Ohne «seht her, ich bin da!» verkauft sich weder geschriebenes Wort noch Vibratorkatzenpullover. Nun kann der geneigte Leser behaupten, ich hätte mir das ja selbst ausgesucht und forciert, ich dürfte jetzt nicht meckern, ich hätte es ja in der Hand, ich könnte es ändern.
Und er hätte sogar recht. Ohne Wenn und Aber. Er zeige mir dann bitte gern die Alternative und Perspektive. Konkrete Jobs. Bezahlt. Außerhalb des Schmuddel-Segments. Wobei ... kann auch lustig sein. Hauptsache, ich muss mich nicht verstellen.


Moment, das klingt jetzt, als wollte ich meine Arbeit aufgeben. Nein, nein, nein. Mitnichten. Gleichwohl reflektiere ich gelegentlich, ob ich auf dem richtigen Weg bin und welche Pfade links und rechts davon liegen. Komplett ohne Herausforderung wäre es mir zu schnell langweilig. Dafür mag ich Menschen, ihre Geschichten und Gesellschaft viel zu gern.

Ein Widerspruch?

 

Um zielgerichtet und konzentriert arbeiten zu können, brauche ich eine ablenkungsfreie Umgebung, Kaffee und Kekse. Wann ich aber was von mir preisgebe, welches Thema ich anschneide, ob ich verkatert, energiegeladen oder missmutig meine Arbeit verrichte, um 6 oder um 11 anfange, einen Kunden anrufe oder ihm maile, ein Bild poste oder nichts – möchte ich nicht fremdbestimmt wissen. Auch wenn es sich um Notwendigkeiten oder sinnvolle Maßnahmen handelt.
In der vorbereiteten oder gewollt zugelassenen Kommunikation bin ich zuweilen sogar lebhaft, laut und genieße Momente im Mittelpunkt. Damit bestrafe ich mein inneres Mauerblümchen aber nicht, sondern gönne ihm etwas Aktivurlaub. Danach darf es sich dann im Arbeitszimmer mit Katze auf dem Schoß und zum Murmeln des Wäschetrockners wieder erholen.


Der Introvertierte wirkt auf andere interaktionsarm, in sich gekehrt, mit dem Ich im Gespräch, leise und planvoll. Aber eher als Außenseiter. Ja, ich stehe irgendwo außen, höre lieber zu, statt selbst etwas zu sagen, und wenn, dann plane ich das, was ich sage, wie ich dabei auftrete und rechne mir Reaktionen aus. Es fällt mir aber, entgegen der Selbstbeschreibung vieler introvertierter Menschen, nicht schwer, eine extrovertierte Haltung einzunehmen und diese, zumindest auf Zeit, motiviert beizubehalten. Es ist eben nur nicht meine bevorzugte Arbeitsweise.


Man könnte nun annehmen, dass dies die perfekte Mischung ist, um meine Bücher zu promoten, Umsatz zu generieren und «erfolgreich zu sein». Man könnte aber auch einfach ein Buch oder einen Vibratorkatzenpullover bestellen.

 

Aus geschäftspolitischen Gründen ist dieser Artikel hiermit zu Ende.

 

 

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