Mindestens haltbar bis: gestern. – Von der Schnelllebigkeit des Buchmarkts.

Ein Bummel über den Buchmarkt mit Larissa.
Heute mal nicht in High Heels und mit Dutt (das ist Frau Schwarz aus dem Deutschunterricht, bitte nicht verwechseln), sondern in Jeans und Chucks, Laptop im Riffeltier verstaut und die langen Locken zum Pferdeschwanz gebunden. [Hihi, sie hat Schwanz gesagt …] So kann sie besser hören, was die Marktschreier munter durcheinanderrufen. Aale-Dieter und Mettwurst-Manni können sich da noch eine Scheibe von abschneiden.
„Greift zu, solange das Buch nicht älter als 24 Stunden ist, denn danach ist es – alt.“
„Nur wenn du die Druckerschwärze noch verwischen kannst, lohnt es sich das Buch zu lesen!“
„Schnell ran an das gute Stück, die Vorableser sind schon bei der Fort-Fortsetzung!“
Für 2016 verzeichnet die DNB ca. 220.000 Buchveröffentlichungen – 602 Bücher pro Tag. Kurz sacken lassen. Ganz kurz nur. Danke.
Die Zeit, die es kosten würde, jedes einzelne Werk ausgiebig zu würdigen, investieren wir lieber in die Selektion des nächsten. Warum auch nicht? Die Auswahl ist schließlich riesig, gerade der exponentiell wachsende Selfpublishermarkt bietet im Sekundentakt neue Ladungen an Druckereierzeugnissen jeglicher Couleur. Die Verlage stehen dem in nur wenig nach. Der einzige Unterschied sind die größer angelegten Marketingkampagnen, die schon länger im Vorfeld zu heiß ersehnten Neuerscheinungen laufen. Mit dem losen Ende dieses Absatzes dürft ihr entweder eure Katze spielen lassen, die schieren Zahlen einfach nochmal bestaunen oder über die subtile Kritik sinnieren die in der nackten Zahl 602 nach der Qualität fragt. Leise. Ganz leise. Denn die Marktschreier werden lauter.
„Frische Ware eingetroffen, kauft, solange das Papier noch warm ist!“
Es ist kein Geheimnis, dass wir trotz aller Prokrastination das Warten verlernt haben. Jeder neue Mausklick fördert neuere, aktuellere Beiträge zutage. Bloß keine Posts von gestern lesen, das ist wie beim Aal vom Anfang – der fängt auch schnell an zu müffeln, wenn die Kiemen … Ihr wisst, was ich meine.
Also: Her mit noch mehr neuen Büchern! Irgendjemand muss ja was für das Bruttoinlandsprodukt tun.
Aber: Wer schreibt das alles? Und vor allem: wann?
Makro-Betrachtung: In Deutschland gibt es einer Untersuchung zufolge ca. 100-200 Autoren, die vom Schreiben wirklich leben können und auch im Rentenalter nicht in die Altersarmut zu fallen drohen. Was machen die anderen ca. 3.500 Schriftsteller, die bei der Künstlersozialkasse versichert sind? Die vielen unregistrierten Autoren?
Reich heiraten. Sich mit Nebenjobs über Wasser halten. Von der Hand in den Mund leben. Und schreiben natürlich. Im Schnitt 0,5 bis 3 Bücher pro Jahr. Fix nachgerechnet veröffentlichen diese akkreditierten 3.650 Menschen also zusammen ca. 7.500 Bücher jährlich. Die restlichen mehr als 200.000 Stück – egal. Die kommen halt irgendwo her. Und gehen auch wieder irgendwo hin. Ins Altpapier vermutlich. Denn in ein Buch kann man, im Gegensatz zur Zeitung von gestern, schlecht einen Fisch einwickeln.
Wie kann in diesen Zeiten etwas noch zum Klassiker werden? Wieso verlegen gerade Selfpublisher noch Reihen, das ist doch tödlich fürs Geschäft! Und wenn nur die wenigsten davon leben können, warum tun sie es dann?
Die Einen hoffen tatsächlich darauf, irgendwann Den Bestseller™ zu landen und frei von gewissen Versorgungsnöten ihrer Berufung weiter nachzukommen. Die Anderen begnügen sich damit, das eigene Werk ins Bücherregal zu stellen und bei Sehnsucht danach darin zu blättern.
Um abschließend die Frage nach den Klassikern zu beantworten: Sie sind die Räucherware des Buchmarkts. Fragt mal Aale-Dieter oder Mettwurst-Manni. Oder den Buchhändler eures Vertrauens.
Schwirrt euch schon der Kopf? Perfekt! Ich fand Statistik als Fach nämlich auch immer gruselig. Deswegen nehme ich heute Rache und schütte euch mit noch mehr Infos zu. In der Mikro-Betrachtung meines Schreibraums.
An einem 180.000-Wörter-Roman schreibe ich in etwa neun Monate [Schwangerschaftswitze bitte hier platzieren]. Plus 2-3 Monate Nachbearbeitung. Heißt: Ein Buch pro Jahr. Für die Mathe-Faulen unter meinen Mitbummlern hier die Auflösung, wie ich in 2016 zwei Bände Eschberg und Tiffany veröffentlichen konnte: Schublade. Und da liegen noch so viele weitere Bücher drin, die von 125 bisher geschriebenen Worten bis zu 123.458 reichen.
Warum ich den Umfang in Wörtern wiedergebe, nicht in Seiten? Weil es fairer ist. Was nützt es, wenn ich euch 500 Seiten pro Buch verspreche, dann aber ein Viertel der Buchseite Rand ist, ein weiteres Viertel Leerzeilen und große Zeilenabstände, wo dann die Hälfte für das geschrieben Wort bleibt? In Schriftgrad 11. Garamond. Für 15,99 Euro. [Das mit der Mogelpackung habt ihr jetzt gesagt.]
Obwohl es noch nicht einmal Beschwerden hageln würde, da viele Verlagsbücher so aufgebaut sind, habe ich mich für die komprimierte Fassung entschieden. Wenig Rand, Schriftgrad 9 und wenig Platz zwischen den Zeilen. Zum selben Preis. Um einigermaßen wettbewerbsfähig zu sein.
Würde ich jedes Buch in zwei Bücher je 250 Seiten teilen, mit fiesem Cliffhanger, damit ihr auch ja den nächsten Band kauft, würde jedes dieser Bücher mindestens 9,99 Euro kosten [hab ich mir nicht ausgedacht, kann man bei Twentysix nachrechnen – und da sieht man dann deutlich, wie viel pro Buch beim Autor hängen bleibt]. Ihr hättet dann aber immerhin zwei Bücher pro Jahr, auf die ihr euch freuen könnt. Und Facebook hätte doppelt Werbeeinnahmen, die Post würde mehr Büchersendungen befördern und Vistaprint könnte noch weitere Druckereifacharbeiter einstellen. Das nennt man dann Mehrwert. Ist dieselbe Geschichte – nur auf zwei Bücher gesplittet – dadurch auch mehr wert?
Den letzten Satz bitte nochmal kurz nachwirken lassen. Danke.
Quantität sagt nichts über Qualität aus und umgekehrt, da erzähle ich euch nichts Neues. Die gewonnene Lebensfreude nach erfolgreichem Lesen des Buches in gezahlte Euro pro gelesenem Wort wiederzugeben ist – vorsichtig formuliert – witzlos. Worauf will ich dann hinaus?
Meine Freundin, Frau Schwarz – ihr wisst schon, die Deutschlehrerin – würde jetzt ein philosophisches „Weniger ist mehr“ an die Tafel kreiden und als Hausaufgabe die Interpretation dazu aufgeben. Für die, die einfach nur die Quintessenz lesen wollen: habt Geduld. Gut Ding will eben Weile haben und Nachschub ist bereits in Arbeit.

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