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Hey, Mr. Heroine Man

 

 

Vor wenigen Tagen habe ich ein Bob-Dylan-Portrait fertiggestellt. Mit seiner Musik kann ich nur wenig anfangen, speziell nicht mit Hits wie Mr. Tambourine Man und Blowing in the wind. Auf Knockin‘ on heaven‘s door könnte ich schon schlechter verzichten, insbesondere, da Herbert Knebel mich seinerzeit mit Nackend am Baggerloch einfach voll erwischt hat. 

 

Warum ich dann Dylan portraitiere? Es handelt sich um eine Auftragsarbeit und ich muss gestehen, dass ich mich anfänglich schwergetan habe, jemanden zu schreddergeldisieren, zu dem mir weitestgehend der Zugang fehlt. Als Freiberuflerin kann ich natürlich Aufträge ablehnen; sollte ich auch, wenn ich weiß, dass ich mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein werde, weil ich von vornherein nur halbherzig drangehe.

 

Andererseits liegt genau darin mitunter die Herausforderung; sich einen Zugang zum Motiv zu verschaffen und einem Bild dadurch eine besondere Note zu verleihen. 

Für Bob Dylan konnte ich mich dann doch ziemlich rasch erwärmen, da der Beweggrund für den Auftrag mit einer rührenden Geschichte einherging. Der Auftraggeber und ein paar Freunde wollen sich bei einem gemeinsamen schwer erkrankten Freund mit dem Bild für viele schöne gemeinsame Jahre bedanken und ihm eine Freude ans Krankenbett stellen. Er ist großer Dylan-Fan und selbst Musiker.

 

Nach dem ausführlichen Vorgespräch, das ich hier aus Respekt und Gründen der Diskretion nicht weiter ausführe, hab ich erstmal Rotz und Wasser geheult und mich daran gemacht, die richtige Arbeitsgrundlage zu finden. Es sollte nicht der junge Dylan sein, eher aktuell, mit Hut. Charakteristisch für ihn und den Freund. Farblich eher dezent; farbenfroh passt halt nicht so zu Dylan.

 

Ich bekam ein Bild als Vorlage, das sich gut adaptieren ließ und es schrie förmlich danach, aus geschredderten 5-€-Scheinen gefertigt zu werden. So weit, so gut. Los ging‘s. 

 

Besser gut gecovert als schlecht selbst geschrieben?

 

Es begab sich dann, dass ich Lucifer S1 E5 noch einmal anschaute und mir fiel auf, dass Tom Ellis/Lucifer dort All along the watchtower spielt und singt. Einen der, wie ich finde, kurioseren Songs von Dylan, der oft gecovert wurde und fälschlicherweise häufig Jimi Hendrix zugeordnet wird. 

Ich mag ihn allerdings in der Version von Tom Ellis am liebsten, da ich kein Freund der Mundharmonika bin, die Dylan im Original benutzt und Hendrix ... nun ja. Aber ich schweife ab, denn mich hatte ein gewisser Groove gepackt und mit einem Mal ging mir die Arbeit noch etwas leichter von der Hand. [Hier bitte noch kurzes Tom-Ellis-Fangirl-Schmachten vorstellen. Und ganz nebenbei bemerkt: Bob Dylan scheint ein ganz anderes Verständnis vom Teufel zu haben als die Macher von Lucifer.]

 

Tagelang ließ der Song mich nicht los. Und wie man so vom Hölzken aufs Stöcksken kommt, kam mir ein Erklärvideo unter, das sich mit der Interpretation von All along the watchtower auseinandersetzt. (Leider nur in Englisch verfügbar.)

 

 

 

Musik oder vertonte Literatur?

 

All along the watchtower steht im Erklärvideo stellvertretend für Dylans Genius, die höchste schöpferische Geisteskraft. Ihm daraus abgeleitet die Nobelpreiswürdigkeit zuzusprechen, halte ich zwar für ... sagen wir: mutig, aber who am I to judge?

 

Dylans Reaktion darauf fand ich umso spannender.

In der von ihm eingereichten Bankettansprache, die auf der Preisverleihung von der amerikanischen Botschafterin Azita Raji vorgetragen wurde, heißt es, er sei überrascht gewesen, danke aber dem Komitee dafür, dass es eine Frage beantwortet habe, die er selbst sich nie gestellt hat: Ob seine Lieder Literatur seien.

 

Dass er den Nobelpreis für Literatur nicht im Rahmen der Verleihung entgegengenommen hat und auch seine Preisrede erst kurz vor knapp ablieferte ... passt zum Vorwurf, er sei ein Exzentriker.  Anders kann man aber vermutlich auch nicht fast 60 Jahre so erfolgreich im Geschäft sein.

 

 

Apropos Exzentrik ...

  

Bei All along the watchtower fragte ich mich bislang immer: „Was hat Dylan da geraucht?“

     

Inzwischen ist mein Wissen um Dylans Biografie zwar etwas größer, aber immer noch rudimentär. Für mich beantwortet sich die Frage jedoch demnach einerseits in Dylans tatsächlichem Heroinkonsum, aber auf der anderen Seite mit seinem Naturell.

Nein, ich meine damit nicht, dass er seine eigenen Haare geraucht hat. Menschen wie er, deren Schaffensprozess kaum Unterbrechungen aufweist, die ein breites künstlerisches Spektrum abdecken und Anerkennung erfahren, entwickeln irgendwann die Eigenschaft eines Perpetuum mobile. Böse formuliert könnte man sagen, sie drehen sich im eigenen Saft. Wohlwollend gemeint bedeutet das, dass sie aus Erfolg Energie schöpfen und davon angetrieben werden. Die Erkenntnis ist so wenig neu wie nobelpreisverdächtig, ich weiß. 

 

Steckt der Teufel im Detail?

 

Mir führt sie aber vor Augen, dass es nicht einmal einer bestimmten Absicht bedarf, um Großes zu kreieren. Es spielt auch keine Rolle, ob die eigene Intention in der Interpretation durch das Publikum erkannt wird; die Deutungshoheit liegt im Auge des Betrachters.

Und ob nun Drogen wie im Fall von Dylan, Halluzinationen wie bei Edvard Munch  oder Alkoholabusus wie bei Mark Twain  dazu führten, dass das Füllhorn der Kreativität sich über den Geist des Künstlers ergoss und für die Umsetzung des Genius sorgte, spielt für das Werk an sich keine Rolle. Selbstredend soll hiermit nicht der Rauschmittelkonsum romantisiert werden; es geht um den dadurch entstandenen Output, das Schaffen solcher Monumente TROTZ der Abhängigkeit und/oder Krankheit, die Faszination darüber, wie allem Anschein nach dieser schwere Eingriff in den Organismus dazu führt, dass das, was irgendwo in den Untiefen der menschlichen Synapsen schlummert, kanalisiert und zu Kunst „karamellisiert“ wird.

 

Das wird mich trotzdem nicht zum Dylan-Fan machen und ob es nun dazu führte, dass das Schreddergeldbild seiner Persönlichkeit gerecht wird, müssen andere beurteilen. Es ist aber eben nicht nur sortieren, photoshoppen, kleben und kassieren. In jedem Bild steckt eine Intention, eine Geschichte, ein Stück Kreativitätskaramell und mindestens ein Katzenhaar. Jedoch keine Vorgabe für den Betrachter. 

Making-of  des Bildes "Still on the road".

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Kommentare: 1
  • #1

    Fred (Mittwoch, 17 Februar 2021 20:52)

    Danke für deine Anteilnahme. Ich weiß das sehr wohl zu würdigen und es baut mich auf. Momentan bin ich ganz gut beeinander, war gestern sogar Baguette und Croissants einkaufen, habe heute auch mal wieder gekocht. Mein Motto: genieße die guten Tage und laß dich von den schlechten nicht unterkriegen.

    Zu Watchtower: es fällt einfacher, es zu verstehen, wenn du dich mit dem Johannes-Evangelium und der Thora auseinandersetzt. Dylan macht zwar keine direkten Anleihen, ist aber poetisch im Groove der biblischen Sprache und Biler. Keine Sorge, ich bin in der Wollte gefärbter Atheist.