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Podiumsdiskussion der Bürgermeisterkandidat*innen. Eine kritische Einordnung.

 

Die NRZ-Online-Podiumsdiskussion der BM-Kandidat*innen vom 28.08.2020. 

Vor dem Hintergrund, dass ich mich ja im vorigen Artikel mit dem Wahlkampf und den Kandidat*innen bereits beschäftigt hatte, war das natürlich ein Must-See. Leider habe ich die Gelegenheit verpasst, mir das live anzusehen, aber heute die Möglichkeit genutzt, mir die Aufzeichnung zu Gemüte zu führen. 


Für euch wäre es vermutlich lustiger und schneller gewesen, mir beim Zuschauen zuzusehen, aber ihr kennt mich, ich lass euch das lieber lesen. Here we go. Popcorn, anyone?

 

 

Direkt zu Anfang fällt die Positionierung der Kandidat*innen auf.


Michaela Eislöffel ist gut ausgeleuchtet, das Ambiente ist freundlich, die Bildfläche ist gut genutzt. Sie lächelt, wirkt präsent.

 

Gerd Baßfeld sitzt schräg im Bild, sehr links, ein „Die Linke.“-Banner hängt hinter ihm und wird teilweise von ihm verdeckt. Das Bild ist etwas unscharf, der unruhige Hintergrund zu dominant. Er wirkt zeitweise abwesend und ist zu hell von oben ausgeleuchtet.

 

Dr. Michael Heidinger sitzt vor einer Dinslaken-Karte, auf der man allerdings die Angaben Alt-Walsum und Wehofen besser erkennen kann als alles andere. Er ist schlecht ausgeleuchtet und schulterbreit im Bild, was ihn etwas sehr nah erscheinen lässt, man sieht fast nur den Kopf. Und den auch nur leicht von unten, sodass man ein wenig in die Nasenlöcher und vor das Kinn guckt. Seine Brille spiegelt unangenehm. Ich möchte eigentlich einen Schritt zurückgehen. Sein Gesichtsausdruck ist jedoch neutral-professionell.

 

 

Thomas Giezek sitzt recht weit weg, das Licht ist einen Ticken zu dunkel und zu warm. Er wirkt unsicher/aufgeregt auf mich. Er ist vor einem riesigen Parteibanner zu sehen, das mehr als die Hälfte des Bildes einnimmt und ihn noch kleiner aussehen lässt als der Abstand es eh schon tut. 

 

Warum diese Deskription?

 

Nach anderthalb Minuten ist das der erste Eindruck, den man von den Kandidat*innen bekommen hat. Da aktuell keine Live-Diskussionen sattfinden können, ist dies die einzige Möglichkeit für die Kandidat*innen, sich vor den Wählern im direkten Gespräch zu profilieren. Mein Eindruck ist, dass man hier sieht, wer sich Mühe bei seinen Hausaufgaben gegeben hat und wer dieses Medium für sich zu nutzen weiß. Klar, letztlich kommt es auf die Inhalte an, aber wer spricht sich davon frei, dass sein Auge mitisst? Man muss nicht Werbepsychologie studiert haben, um zu wissen, dass Bildkompositionen Schlüsselreize auslösen und dazu führen können, von der möglichen Bild-Text-Schere abzulenken.

 

Ich komme also nicht umhin, die Settings zu bewerten und zu interpretieren.

 

Michaela Eislöffel gilt als die Unerfahrene. Auf mich wirkt ihr Bild als hätte sie sich professionelle Unterstützung geholt und Gedanken gemacht, wie sie sich am besten präsentieren kann. Konservativ, aber nicht zu business-mäßig gekleidet, Blümchen (wieso eigentlich keine Sonnenblumen?) im Hintergrund, sie selbst ist gut zu erkennen und präsent ohne wie Kimberly Guilfoyle zu wirken. Das vermittelt den Eindruck, dass sie sich auf ihre Rolle vorbereitet und beraten lässt. Hier hat sie einen guten Griff getan – fragt sich, ob ihr das im weiteren Verlauf auch mit ihrem politischen Mindset und ihrer Schlagfertigkeit gelingt.

 

Gerd Baßfelds Setting wirkt bodenständig, wie das Wohnzimmer des Onkels von nebenan, bei dem man spontan mal auf nen Kaffee vorbeikommen kann. Das macht ihn nahbar, lenkt aber optisch von ihm und seinen Inhalten ab. Ich finde sein Setting nicht unsympathisch, störe mich allerdings am Licht von gerade-oben. Das hat ein bisschen was von einem Heiligenschein, verliehen von seinem Banner. Noch weiter links und er würde nicht mehr im Bild sitzen. Deus ex machina bzw. die Stimme aus dem Off.

 

Dr. Michael Heidinger als Amtsinhaber wirkt auch in seinem Frame ein bisschen wie der Platzhirsch, leider.

Leider?

Larissa, neuerdings Sympathien für Heidinger? Ich habe ihn kürzlich erst wieder live erlebt – er kann das eigentlich besser und unaufdringlicher. Mich wundert, dass sein Team ihn nicht in das richtige Licht gerückt hat. Warum, um alles in der Welt, Licht von der Seite? Glanz auf der Stirn hat nichts mit glänzen in der Sache zu tun. Was soll diese Karte im Hintergrund? Will er das Umland annektieren?

 

Thomas Giezek steht für die UBV. Vor ihr. Und dennoch überragt sie ihn plakativ. Was dem Zuschauer verdeutlichen soll, welche Partei man mit dem Bürgermeister auch direkt mitwählen könnte, hat etwas von der Seitenbacher-Werbung. Das Logo wirkt passiv-aggressiv und überschattet ihn. Ich bekomme dabei das Gefühl, dass dieser ein Bürgermeister wird, der nicht für sich selbst stehen kann, sondern von seiner Partei getragen wird. Per se ist Letzteres nicht schlecht, aber als Chef der Verwaltung ist Bürgermeister eine One-Man-Show, als erster Bürger der Stadt muss er auch allein bestehen können. Bei Gerd Baßfeld habe ich das nicht so stark kritisiert, da er die Fahne teilweise verdeckt und sie nicht so viel Raum einnimmt. Bei ihm wirkt sie eher wie „seht, das ist mein Lager, aber ich bin hier im Fokus, ich hab die Partei im Rücken, aber bin der, der verantwortlich vorne auf der Bühne steht.“

 

 

Himmel. Noch kein Wort gesprochen und ich hab schon anderthalb DIN-A-4-Seiten voll. Sorry. Ich hoffe, dass ich am Inhalt nicht so viel zu kritteln habe.  

 

 

Beginnen wir mit: Was qualifiziert Sie für das Amt des Bürgermeisters?

 

 

Dr. Heidinger: „Wer sich für das Amt des Bürgermeisters der Stadt bewirbt, braucht eine stimmige Gesamtidee von der Stadt … wir  haben seit 11 Jahren versucht, diese umzusetzen, wir wollen, dass Dinslaken sozialökologisch, nachhaltig und durchfinanziert, auf Grundlage dessen, was schon erarbeitet wurde.“ Die Antwort ist kurz, sachlich, auf den Punkt, etwas staccato, klingt wie auswendiggelernt/aufgesagt. Aber wer ist WIR? Spricht er von sich im Pluralis majestatis? Wir wollen, man braucht … Ich möchte ihm da einfach nur zurufen: „Butter bei die Fischi, Michi! Was qualifiziert dich denn jetzt? Dass du das schon so lange versuchst?“  Rein sprachlich ist mir in der Aussage zu viel Konjunktiv. Wieso weicht er auf die Phrase „wer sich bewirbt“ aus? Lieber Herr Doktor Heidinger, Qualifikation ist die durch Ausbildung, Erfahrung o. Ä. erworbene Befähigung zu einer bestimmten [beruflichen] Tätigkeit. Die haben Sie und auch Sie bewerben sich doch gerade wieder bei den Bürger*innen, nicht nur die anderen. Klar, indirekt haben Sie die Frage beantwortet und sicherlich wissen auch viele, was Sie meinen. Aber ebenso viele Menschen holen Sie damit nicht ab, weil sie sich ein klares Bekenntnis und plain text wünschen.

 

Frau Eislöffel: „… dass ich seit 30 Jahren in Dinslaken wohne, ich kenne die Stadt gut, meine Kinder sind hier aufgewachsen und ich selber habe ein großes Interesse daran, dass die Stadt nach vorne gebracht wird. Ich hab studiert, verschiedene Berufe gemacht“ – sie meint wohl ausgeübt – „bin Teil der Stadtgesellschaft … ich habe zwei starke Partner im Rücken [Tonausfall].“ Oje. Das kann zwar passieren, ist aber recht misslich. Liegt es am schlechten Breitband in Dinslaken? Oder ist sie doch schlechter vorbereitet als ich dachte? Okay, Hauptqualifikation ist demnach der Antrieb, die eigene Stadt mitgestalten zu wollen und ihr Wissen von „outside the box“. Der Rest bleibt wohl vorerst ihr Geheimnis.

 

Herr Giezek: „… ich bin bürgernah für Sie da, steht ja da ganz groß ... hier groß geworden, hier zur Schule gegangen, ich sehe wie Dinslaken sich entwickelt und ich möchte Dinslaken weiter so haben, dass es eine grüne Stadt ist und nicht [unverständliches Wort] da gebaut wird.“ Thomas, was willst du mit dem Kugelschreiber? Einen Kugelschreiber benutzt man in [Verkaufs]gesprächen bspw. um ihn von der einen in die andere Hand zu geben, um dann die Hand des Gegenübers schütteln zu können, den Wechsel des Gesprächsthemas zu untermalen oder sich daran festzuhalten. Aber wozu in einem Onlinemeeting? Warum er nicht auf seine jahrelange Arbeit im Rat der Stadt eingegangen ist, seine ehrenamtlichen Tätigkeiten und seinen Draht zu den Bürger*innen, kann ich nicht nachvollziehen. Das alles in das eine Schlagwort „Bürgernähe“ zu verpacken, ist verschenkte Argumentation.

 

Herr Baßfeld: „Ich bin in Dinslaken geboren, habe auf der Zeche gelernt, Sozialpädagogik studiert, engagiere mich insgesamt für eine sozialgerechte Gesellschaft, die möchte ich auch hier haben. Was für mich zum Beispiel wichtig ist, wenn ich mein Wort gebe, werde ich mein Wort halten und Sachen so umsetzen, bestes Beispiel Gesamtschule Mitte … hoffe, dass das so kommt … werde mich für die Interessen der Bürger*innen einsetzen.“ Er klingt verbindlich, da nicke ich anerkennend. Gerd Baßfeld trumpft hier mit seiner jahrelangen Erfahrung in der Kommunalpolitik und verbindet das geschickt mit seinem eigenen Antrieb sowie seinem Werdegang. Das „möchte ich auch hier haben“ ist etwas unglücklich formuliert, aber weit weg von Übergebrauch des Konjunktivs.

 

Der Screenshot zeigt den Moment, in dem Gerd Baßfeld seine Antwort beendet. Unten rechts sieht man übrigens Anja Hasenjürgen, oben rechts Michael Turek, beide NRZ. 

 

Es sind noch keine fünf Minuten vergangen und ich bin auf Seite vier. Das schreit nach einer Abkürzung. Ich erkläre hiermit an Eides statt, das gesamte Video gesehen zu haben.


Ich nehme an, dass aus Zeit- und Kostengründen kein Gebärdendolmetscher eingesetzt wurde. Im Rahmen der Barrierefreiheit finde ich das bedauerlich und kann für den gehörlosen Interessierten hier auch nur im Ansatz weiterhelfen, da meine Wiedergabe bereits Meinung enthält. 

  


Blitzlichter

 

Michaela Eislöffel: „Ich weiß nicht, in wie weit Fördergelder beantragt waren.“ Hm. Die KTH ist eines DER Aufregerprojekte in Dinslaken. DAS muss man wissen. Wenn auch nicht auf den Euro genau, aber gerade bei den Big Five (KTH, Trabrennbahn, Bäder, Bahnhof, Leerstand) erwarte ich als Wählerin, dass die Basics sitzen.

Frau Eislöffel besitzt übrigens auch einen Stift.

Als es um die Investitionen geht, sagt sie: „Ich bin da momentan noch nicht in der Verantwortung.“ Hach. Nee. Natürlich nicht. Aber, liebe Frau Eislöffel, hier geht es ja darum, wie Sie sich das vorstellen bzw. was Sie als Verantwortliche tun würden. Dass Sie sich „mit der Zeit einarbeiten“ würden, ist löblich. Ihnen wird aber wenig Zeit bleiben, weil von Stunde eins an Entscheidungen anstehen, Verständnis gefordert wird und Sie sich messen lassen müssen. Das Korsett ist eng; für eigene Ideen wird anfangs wenig Raum sein. Verständlicherweise sind Lücken da, die dürften aber nur Interna und Dinge betreffen, die der Geheimhaltung unterliegen. So wie Sie sich geben, haben Ihre Partner Sie bisher eher in puncto Wahlkampf geschult denn in Faktenlage.

Anders beim Thema Erschließung Bahnhof über die Wielandstraße. Zum Dauerbrenner positioniert sie sich klar und mit Meinung.

Der Lehrerin liegen natürlich die Schulen am Herzen. Das merkt man nach einer Stunde besonders beim Thema Digitalisierung der Schule. Hier kennt sie Zahlen, Fakten und Zusammenhänge. Allerdings kommt sie hier wieder mehr wie die Beraterin der Stadtverwaltung rüber, nicht wie die potentielle neue Chefin. Immerhin jedoch ist und bleibt sie lösungsorientiert und sachlich.

Sie erkennt beim Thema Holzenergiezentrum, dass „das Thema Controlling nicht die Stärke unserer Stadt ist“, da bin ich bei ihr. Leider moniert sie nur die aktuelle Lage, statt den Punkt für sich zu nutzen und zu sagen, wie sie es besser machen würde. Auch bei „Da war meine Anregung …“ wirkt es so als wollte sie Dr. Heidinger und die Stadtverwaltung eher coachen als ablösen und selbst führen.

Was sie sonst noch sagt: Während der Pandemie kann man nicht über Steuererhöhungen sprechen. Sparmaßnahmen sollen das Haushaltsloch stopfen. Sie allein findet keine Lösung, sondern will Expertise zusammentragen und den Kämmerer konsultieren und Investitionen überdenken.

In Zeiten einer Pandemie muss man nicht über Geld reden, sondern über die Menschen. Die Verwaltung muss sich gut aufstellen. Betriebe müssen in unserer Stadt bleiben und neue angesiedelt werden.

  

Dr. Michael Heidinger: KTH, er ist informiert, klärt auf, benutzt Fachbegriffe, nein, Fachchinesisch, natürlich ist keine epische Antwort möglich. Er korrigiert aber sehr sachlich und mit Fakten/Zahlen die ungefähren Schätzungen seiner Mitbewerber. Das gefällt mir ganz gut, auch wenn er nicht in die Tiefe geht und wieder nur mit Fachbegriffen jongliert. Letztlich fehlt mir die Einwandbehandlung auf emotionaler Ebene.

Immerhin gelingt es ihm im späteren Verlauf, als es um die Pflegeschule geht, gerade durch diese Emotionslosigkeit sachlich auf Vorwürfe zu reagieren und strukturiert darauf einzugehen, was wiederum den Eindruck von Kompetenz hinterlässt.  

Den macht er aber auch wieder zunichte, als er ins Feld führt, dass der Aufsichtsrat (hier Beispiel Steag) ja mit kompetenten Menschen aus den Fraktionen besetzt ist. Herrje. Diese Kontrolleure sitzen sowohl im Rat als auch in mehreren anderen Aufsichtsräten und werden nur geringfügig gegenkontrolliert und reguliert? Er winkt vorhandene Abhängigkeiten ab, was bei mir einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt [den offenbar auch Herr Baßfeld dabei auf der Zunge hat].

Und endlich, endlich fällt mal der Satz: „… dass Menschen enttäuscht sind, kann ich sehr, sehr gut verstehen“.

Er verteidigt vehement Entscheidungen zum Bahnhofsvorplatz und u. a. Ausgleichsflächen. Die Entscheidungen muss man nicht gut finden, aber sollte dabei bedenken, dass er damit seine Mitarbeiter*innen in Schutz nimmt und auch für Entscheidungen geradesteht, die er nicht federführend zu verantworten hatte.

Digitalisierung ist ein wichtiges Thema. „Wir sind auf einem Weg.“ Hoffentlich ist es ein guter. Und breit[band]ausgebauter. Ohne da jetzt ins Detail gehen zu wollen: Hier enttäuscht er mich. Und die anderen Teilnehmer auch.

„Wir kennen unseren Haushalt, wir kennen die Einflussgrößen.“ Er will weiter auf Bundesebene dafür kämpfen, dass das Konnexitätsprinzip eingehalten wird. Isolierung der pandemiebedingten Haushaltsverschlechterung wird in Anspruch genommen und die Rückzahlung wird erst ab 2025 erfolgen müssen, er geht von einer Nullzinsbelastung in den nächsten Jahren aus.

Er würde die Kommunalfinanzierung ändern, wenn er einen Wunsch frei hätte.

 

Gerd Baßfeld: „Dass es so explodiert, dürfte normalerweise nicht passieren, da muss man … ähm, da sind auf jeden Fall Fehler im Vorfeld passiert.“ Boooooah, ich dachte, da kommt jetzt echt ein Treffer, eine Lösung. „Da muss man.“ Ja, was? Sag es mir! Und dann doch nur Fehlerbashing. Herr Baßfeld, hier hätten Sie echt punkten können!

Beim Thema Investitionen mäandert er ein bisschen um den heißen Brei, verlagert die Schuldenproblematik – nicht ganz falsch – auf den Bund, erklärt aber den Strukturwandel in unserer Gegend für beendet. Bis gerade ging ich davon aus, dass wir eher am Anfang stehen, allenfalls mittendrin sind.

Beim Holzenergiezentrum verspricht er, dass seine Partei genau hinschauen wird. Wieso seine Partei und nicht er als Bürgermeister? Ach ja, er rechnet sich ja ohnehin kaum Chancen aus. Immerhin schlägt er ein Controlling vor, an dem unter Führung von Experten auch die Bürger*innen teilhaben können – damit kann ich mich anfreunden.

Wir erfahren: Er fährt viel Fahrrad und ist damit oft schneller durch die Stadt als mit dem Auto. Und er kann joggen [wenn das Telefon während der Videokonferenz schellt].

Keine Steuererhöhung vor Ort und wo soll man noch sparen? Die neue Gemeindefinanzierung muss über den Bund erreicht werden. Nicht in der Kommune müssen Steuern geändert werden, sondern im Bund muss es eine Reichensteuer geben. Die, die an der Krise verdienen, müssen mehr zahlen und es muss eine Altschuldenregelung geben. „Was ich vor Ort spare sind höchstens 10 % von dem was wir haben, wo wir sparen können.“ Er verweist auf den Bundestag. Als Bürgermeister vor Ort, wäre er nach Berlin gefahren und würde dort mehr Druck machen. Die ganze Konsolidierung ist seiner Meinung nach nur stemmbar, wenn es Geld von oben gibt.

Er würde gern ein Jugendcafé in der Innenstadt ansiedeln, wenn er die Möglichkeit hätte.

 

Thomas Giezek: KTH, wir sind noch lange nicht am Ende [mit den Kosten], traurig, dass es so ausgeufert ist, „warten wir es ab“. Uff. Ja, abwarten kann eine Strategie sein. Hier hätte man aber inhaltlich vorbereitet sein können, Schwachpunkte der Planung benennen müssen und sagen können, was man selbst besser gemacht hätte bzw. zukünftig vermeiden würde.

Beim Thema Pflegeschule wagt er den ersten direkten Angriff auf den amtierenden Bürgermeister und unterstellt ihm, „das schlechteste Beispiel“ zu sein für das Vorantreiben bei der Schaffung von Arbeitsplätzen. In feinstem Pottisch drückt er seine eigene Agenda in die Diskussion und nennt das Vorgehen der Stadtverwaltung beim Thema Breitbandausbau „dilettantisch“. Nun ja. Im Krieg, unter welchen Wahlkampf wohl zu fallen scheint, und in der Liebe ist bekanntermaßen alles erlaubt. Auch, sich selbst zu entlarven.

Was ich mir zweimal anhören musste, war seine Aussage zum Thema Umgang mit Gutachten. Er will Dinge vor Ort mit den Bürger*innen entscheiden, aber nicht vom Schreibtisch aus. Okay. Eigentlich gut und wünschenswert. Ich blicke zwar die ganze Freibad-Hiesfeld-Sache nicht genug, um mir dazu ein Urteil zu erlauben, aber hat nicht gerade dieses „haben wir immer gehabt, haben wir immer gemacht, wollen wir weiter so, machen wir so“ und das gegenseitige Bewerfen mit Gutachten, Meinungen und Anträgen genau in diese absurde Situation geführt, die wir da jetzt haben? Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt? Wenn das Gutachten passt, nehm ich es, ansonsten machen wir das, was die Bürger wollen? Vielleicht hab ich ihn da auch falsch verstanden, aber … huiuiuiui …

Kommt er zu Wort, lässt er es so schnell nicht wieder los und kommt vom Hölzken aufs Stöcksken. Was man ihm lassen muss: Er kennt die Themen und weiß, zu welchen sich die Gemüter in Dinslaken schnell erhitzen.

Er bringt mehrere valide Argumente beim Thema ÖPNV – u. a. Kaufkraft von außerhalb darf nicht missachtet werden; wer von außerhalb nach Dinslaken will, um hier sein Geld zu lassen, muss gut herkommen. Und günstig. Und barrierefrei. Ohne jemanden auszugrenzen. Als Bürgermeister hat man zwar wenig direkten Einfluss darauf, aber den sollte man auch konsequent nutzen. Ja.

Beim Thema Digitalisierung wird er zwar bissig gegenüber Dr. Heidinger, bleibt aber weitestgehend sachlich. Seine Fragen an den Bürgermeister sind fundiert; wünschenswert wäre aber auch gewesen zu erfahren, wie er selbst das zukünftig besser machen würde. Das wird er auch vom Moderator gefragt. Er weicht aber erstmal auf die Personalunion von Kämmerer und Baudezernent aus, die er trennen möchte. Da bin ich inhaltlich bei ihm. Aber das beantwortet nur die Frage nach der Expertise in Sachen Finanzen, löst jedoch den Mangel an Digitalisierung nicht.

„Nicht auf jeden Fördertopf aufspringen“ und Projekte auch mal aussetzen ist seine Idee, den Haushalt zu konsolidieren.

 

Er ist skeptisch, ob Porsche sich noch ansiedelt in Dinslaken.

Er wünscht sich eine Städtebaugesellschaft für Dinslaken.

 

 

Was haben sie gemacht, als sie nicht das Wort hatten?


Frau Eislöffel guckte  meist in die Kamera, neutraler Gesichtsausdruck, kaum/keine Gestik.

 

Herr Baßfeld zeigte viel Mimik, die Rückschlüsse auf seine Gedanken zuließen, generell offener Ausdruck.

 

Dr. Heidinger hörte aktiv zu, wenig Mimik dabei, aber er schwenkte den Kopf häufig. Ab und an schloss er die Augen. Man fragt sich, ob er sie verschließt oder das Gesagte verinnerlichen wollte.

 

Herr Giezek guckte meistens weg, sehr wenig Mimik, ab und an mal ein Kopfschütteln.

 

 

 

Fazit

 

Michaela Eislöffel positioniert sich in weiten Teilen mehr als Bürgerin denn als potentielle Bürgermeisterin, sie gibt Anregungen. Man merkt, dass sie in den letzten Wochen viel in Dinslaken unterwegs war, viele Menschen getroffen hat. Sie ist sich der Problematiken durchaus bewusst, hat aber ihre Rolle, für die sie jetzt bereits einstehen müsste, noch nicht ganz verinnerlicht. Da kommt noch zu viel „von unten“, als dass man sie schon an der Spitze der Verwaltung sieht. Positiv fällt auf, dass sie ruhig argumentiert und auch auf den Punkt kommt, sich nicht an Sachen aufhängt, die schon ewig her sind und insgesamt recht aufgeräumt wirkt. Ich weiß allerdings nicht, ob das reicht, um Dinslaken von sich zu überzeugen und eine Mehrheit zu holen.

 

Gerd Baßfeld. Man merkt dem Mann an, dass er ein Dinosaurier der Dinslakener Kommunalpolitik ist. Und an dieser Stelle möchte ich den Witz „Die Dinos sind ausgestorben, weil“ gar nicht machen, er gehört nicht hierher. Man merkt ihm an, dass er viel gesehen hat, gut in der Materie ist, aber auch, dass er seinen eigenen Standpunkt hat und diesen mit einer adäquaten Vehemenz verteidigt. Das finde ich wünschenswert für einen Bürgermeister, weil man dafür ausgehen darf, dass er die Interessen der Stadt  und ihrer Bürger*innen gegenüber dem Land und dem Bund so verteidigen wird. Offen bleibt, ob er auch seinen Mitarbeiter*innen, für die er eine Fürsorgepflicht hat, so agieren wird. Im vorigen Artikel habe ich gefragt, wieso er sich das mit seinen 72 Jahren antut. Das sollte kein Altersbashing sein; ich hatte einen weniger rüstigen und gebrechlicheren Senior vor Augen, als ich das schrieb. Er macht aber hier tatsächlich den Eindruck, dass er sich der 70-Stunden-Woche, wenig Freizeit, wenig Privatleben und nervenaufreibenden Diskussionen bewusst ist und diese stemmen kann.

 

Thomas Giezek. Ich weiß, dass ich da nicht unvoreingenommen bin und versuche, diese Videokonferenz unter dem Aspekt zu sehen, dass er das beim Wort „Wahlkampf“ den Fokus auf „Kampf“ legt. Wie weiter oben schon gesagt: Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. Ich glaube, dass er unsere Stadt wirklich liebt und an das glaubt, was er erzählt. Er brennt für seine Sache und für die Ziele der UBV und prescht mit einer gewissen Streitross-Attitüde voran. Das wünsche ich mir von unserem Bürgermeister tatsächlich, wenn es darum geht, eben die Einhaltung des Konnexitätsprinzips einzufordern. Ich wünsche mir jemanden, der da mit Herzblut rangeht und gern streitet. Ich bekomme nur jedes Mal Bauchschmerzen, wenn das Ganze unterhalb von Augenhöhe gerät, wo es darum geht, den Gegner zu diskreditieren und demoralisieren. Und zwar nicht auf Inhaltsebene, sondern ad hominem. Klar, man muss den Bürgermeister immer auch als Person sehen, aber er ist immer noch Chef der Verwaltung und sollte nicht in erster Linie zoon politikon sein. Und ich stelle mir jetzt einfach vor, wenn Thomas Giezek Bürgermeister ist und in fünf Jahren auf jemanden trifft, der wie er selbst ist, und ihn herausfordert. Irgendein Youngster, der ihn in derselben Manier angehen würde, wie er Dr. Heidinger. Und ich glaube, das fände er ziemlich uncool. Das spielt dann auf einer Ebene, auf der ich ungern die Geschicke unserer Stadt gelenkt wissen will. Ich möchte als Bürgerin Dinslakens von jemandem vertreten und repräsentiert werden, der nicht ad hominem argumentiert, soondern sich auch mal zurücknimmt. Ich will ihn wirklich nicht mit Trump vergleichen, aber man muss in zweiter Linie eben auch die Außenwirkung betrachten und da tue ich mich sehr schwer bei ihm.

 

 

Dr. Michael Heidinger. Der Mann mit dem „Heimvorteil“. Er kennt die Interna, die Verschlusssachen, er weiß, wie Dinge zustande gekommen sind und wie der Hase läuft. Er ist kein begnadeter aber auch kein schlechter Rhetoriker, mir persönlich aber kommt insgesamt zu wenig Verständnis bei der Einwandbehandlung. Er entkräftet zwar durch Mitteilung seiner Sicht der Dinge, aber missachtet dabei, dass Dinge für Außenstehende gefühlt anders liegen. Ich bin Freundin der Dialektik und sie wäre meines Erachtens kein schlechtes Mittel für ihn, um die teilweise sehr unterschiedlichen Sichtweisen bei bspw. Freibad, Bahnhof und KTH fair von allen Seiten zu beleuchten und darzustellen, wie das Ganze auf so unterschiedliche Lager kommen konnte. Das würde ein bisschen Einsicht für Fehler zeigen, die unweigerlich bei solchen Projekten passieren. So wie er es aber präsentiert, wirkt es als wäre immer alles richtig, was im Namen der Stadtverwaltung von statten geht. Ich lehne mich jetzt, glaube ich, nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass man mehr Zufriedenheit schaffen könnte, wenn man sich an dieser Stelle etwas authentischer und ehrlich selbst reflektiert. Ich bin mir sicher, dass er das im stillen Kämmerlein sogar macht und nicht nur weiß, wie der Hase läuft, sondern auch, wo er im Pfeffer liegt, und dass er das nach außen hin nicht zeigen will oder soll. Sollte er die nächsten fünf Jahre weiterhin unser Stadtoberhaupt sein, ist das mein großer, großer Wunsch an ihn, nicht nur transparenter zu handeln, sondern auch in der Breite und Tiefe näher an dem zu sein, was beim Bürger Verständnis weckt. 

 

 

Es klingt ein bisschen, als wäre diese Diskussion ein mind changer für mich gewesen.

 

In Bezug auf Gerd Baßfeld war es das auf jeden Fall. Ihn habe ich vorher dünner und kraftloser erlebt.

 

Obwohl ich versucht habe, ergebnisoffen an seien Person heranzugehen, hat sich mein Bild von Thomas Giezek bestätigt.

 

Ich habe einen etwas vielfältigeren Eindruck bekommen von Dr. Michael Heidinger, weiß nicht genau, wo wirklich echte Ambition steckt und wo politisches Kalkül herrscht. Dass er nach wie vor Leidenschaft für den Job hat, ist bei mir angekommen – und genau das hat mich überrascht. Dass er tatsächlich noch für Dinslaken brennt. Das Feuer wirkte auf mich in den letzten ein, zwei Jahren heruntergebrannt. Mir gefällt der Ernst gut, mit dem er bei der Sache ist, ein bisschen Spaß dürfte gern dazukommen.

 

Michaela Eislöffel hat mich vorher auf dem Papier absolut überzeugt. In meiner Wahrnehmung bei den zwei, drei Events, auf denen ich sie gesehen habe, aber keine Gelegenheit zum Gespräch hatte, wirkte sie auf mich sehr präsent und sortiert. Das hat sich heute bestätigt, allerdings hatte ich erwartet, dass sie sich schon intensiver mit den großen Themen auseinandergesetzt hätte und sich nicht erst herantasten muss. Meine Erwartung war auch, dass sie selbstsicherer auftritt. Denn kritisch gegenüber der bisherigen Stadtspitze ist sie durchaus. Damit will ich ihr keine Führungsqualitäten absprechen, aber ich sehe dringenden Handlungsbedarf bei der Sache, die ihr selber sehr am Herzen liegt: Controlling. Hier muss sie zügig mehr Know-how bekommen. Ich will nicht sagen, dass sie die falsche oder eine schlechte Kandidatin für ihre Partner ist, allerdings muss sie noch besser werden, um bei der Mehrheit der Dinslakener zu punkten.

 

 

 

Wenn du doch so schlau bist und alles besser kannst, warum kandidierst du dann nicht selbst? Hä?

 

Das hättet ihr gern, was?

 

Denken wir das mal weiter.

Ich würde vermutlich allein schon bei einer solchen Podiumsdiskussion nicht bestehen, weil ich Zeit und Raum für Antworten brauche. Schriftlich kann ich mich ganz gut äußern, mündlich verfalle ich einerseits immer in Ruhrgebietsslang und die besten Sachen fallen mir erst hinterher ein.

 

 

Nun. Mir ist klar, dass die Wahl nicht in einer Podiumsdiskussion, auf Facebook, meinem Blog oder in der NRZ entschieden wird. Ich habe „Karrierechance Bürgermeister“ gelesen und „Kommunale Redepraxis“. Ich habe mich oberflächlich in Verwaltungsrecht sowie Doppik und Kameralistik eingearbeitet. Das reicht aber nicht, um den Job der Verwaltungschefin und Repräsentantin zur Zufriedenheit aller (inklusive mir) ausüben zu können. Auch wenn ich für Letzteres die Haare schön genug hab und ein krasses Auto fahre, aus dem ich huldvoll winken kann.

 

Ich verstehe mich hier als Beobachterin, Impulsgeberin und Verstehenwollerin, die sich selbst die Stärken und Schwächen der anderen erschließt, um für sich abzuleiten, wen sie wählt. Den Aufriss hier mache ich bloß als Etüde; eine Finger- und Gedankenübung, bei der jeder mitlesen und mitreden darf.

Last but not least:

 

Ich hab einfach nicht die Zeit für den Job. Und vertrage nicht so viel Popcorn, wie ich da essen müsste.

 

 

 

Wenn ich wetten müsste

 

Ich gehe davon aus, dass wir auch am 14.09. noch einen Bürgermeister Dr. Heidinger haben werden (allerdings, vermute ich, mit einem wesentlich anderen Stadtrat). 

 

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Reinhard Claves (Sonntag, 30 August 2020 06:46)

    Deine Eindrücke von der Vorstellung der BM Kandidaten ist sachlich, informativ und mit geschulten Augen reflektiert. Mir fehlten klare Aussagen zu einer digitalen, buergernahen, strafferen Verwaltungsstruktur. Das klare Bekenntnis zur Trennung von Planungsdezernat und Kämmerei. Die strukturelle Aufarbeitung hausgemachte Finanzierungsfehler. Nicht Bund und Land sind hier gefordert sondern die eigene, verantwortliche Haushaltsführung. Bis auf Frau Eisloeffel tragen hier die Kandidaten seit Jahren im Rat die Verantwortung mit ihren Entscheidungen. Für mich war es eine sehr dünne Suppe die von allen gekocht wurde. Als Bürger bin ich nicht schlauer geworden.
    Herzlichen Dank für die grosse Mühe und Deine Analyse. In der Hoffnung, dass viele Dinslakener Deinen Block lesen, wünsche ich Dir einen entspannten Sonntag. Ich verteile heute noch Flyer um die FDP in Fraktionsstaerke in den neuen Rat zu bringen..

  • #2

    Reiner Langer (Sonntag, 30 August 2020 08:58)

    Liebe Larissa, Hut ab, hast Dir richtig Mühe gegeben. Da ich ja vor der Kunst in der Psychiatrie gearbeitet und gelernt habe, dort auch viel mit Rhetorik und deren Techniken zu tun hatte. Hast Du gut aufgenommen. Da gibt es nur einen Sieger und der ist eindeutig. Michaela Eislöffel, leider die absolute Nullnummer Hauptspruch " Da stehe ich nicht in der Verantwortung", keine Antworten, keine Lösung's Konzepte. Aber richtig gut ausgeleuchtet. Die Spitze der UBV Rhetorisch bestens aufgehoben in jeder Kneipe Dinslakens, mehr nicht, am Tresen. Und Gerd hat viele Chancen gehabt, denn als wie Du sagst Dino im Stadtrat fehlten mir die klaren Aussagen. Ich weiß er ist ein guter für Dinslaken, denn er hat klare Vorstellungen und ich mag ihn.