Es sind die kleinen Dinge im Leben … die man am schnellsten verliert und besonders vermisst.

Ende der 90er habe ich das Ledermäppchen für 30 Mark (gefühlt 60 €) bei Karstadt gekauft. Den Laden gibt es heute nicht mehr, da ist nun Kaufland drin. Zunächst beherbergte es meinen Alu-Lamy, danach einen Kolbenfüller aus Mooreiche. Bis mein Mann mir den Pelikan schenkte, der mich seitdem begleitet. Das zweite Fach war nie fest belegt. Mal ein Lamy-Kugelschreiber, mal ein Roller-Pen, mal ein Werbegeschenk und seit meiner Reise nach Tschechien nun der Kugelschreiber mit der Hradec-Králové-Gravur. 
Das Mäppchen migrierte von Handtasche zu Handtasche, überdauerte mindestens 15 davon, reiste mit mir durch Europa. Es lag auf versifften Bar-Tresen in London, auf der Schulbank in Skibbereen, wartete in Bayeux darauf, dass die Postkarten fertig wurden. In Santa Maria da Feira begleitete es mich ins Weihnachtswunderland, in Prag guckte es mit mir auf die astronomische Uhr. In Hradec Králové sonnte es sich auf dem Alten Markt. Auf Mallorca, in Berlin, in Amsterdam, in Battle, Glasgow und Edinburgh war es ebenso dabei wie viele Stunden in der Kostbar. Es war mit im Europäischen Parlament in Straßburg, überlebte diverse Freundschaften und Beziehungen, dreieinhalb Umzüge, drei Schulen, zwei Universitäten und mehrere Arbeitsstellen. 

Und dann war es plötzlich weg. 

„Hör auf zu weinen, das ist nur ein Gegenstand“, versuchte mein Mann mich zu trösten, als einigermaßen klar war, dass ich es verloren hatte. Vermutlich mit der Maske aus der Tasche gezogen und nicht gemerkt. Oder verlegt. Vielleicht gestohlen? Aber wer klaut bitte Füller?(Außer Sarah R. und Birgit S. in der 7. Klasse, ja, das vergebe ich euch nie!)
Nach Tagen der Suche begannen wir von vorn. Alle Autos, übliche Wege im Haus, im Keller in Kartons. Im Kleiderschrank, alle Handtaschen, die ich in den letzten Wochen mitgeführt hatte; selbst im Kühlschrank und beim Katzenfutter schauten wir. 
Ich fragte beim Fundbüro und in der Kostbar nach, jammerte Freunden die Ohren voll und hielt meinen Mann beim dritten Mal Klamotten durchsuchen davon ab, meinen Kleiderschrank völlig zu verwüsten. Na ja, gut, verwüstet ist er immer ein bisschen, aber in dieser Wüste kenne ich mich aus. In seiner neu geschaffenen nicht. 

Brauche ich überhaupt einen Füller? Ich kann ja auch mit was anderem schreiben. Aber so verlässlich zu wissen, dass man etwas zu schreiben in der Tasche hat, ist ja eigentlich schön. Und Plastikkugelschreiber mit Werbeaufdruck sind wie früher die Feuerzeuge mit Werbeaufdruck: Einmal aus der Hand gegeben, sind sie weg. 
„Um das Etui ist es doch der Erinnerungen wegen schon fast trauriger als um den Füller.“ 
Ich hab ihn unsensibel genannt. Immerhin ist der Füller sowas wie der verlängerte Arm, der wiederum das verlängerte Gehirn ist. Wenn das nicht zusammenpasst, kommt am Ende nur Grütze raus. (Das kann mitunter auch so passieren, aber das steht auf einem anderen Blatt.)
Ich fühlte mich schuldig, nicht genügend aufgepasst zu haben. Ein Geschenk nicht genug geachtet, nicht genügend wertgeschätzt zu haben.
Noch mal die Fundbüros und eBay und Kleinanzeigen abgegrast. Nix. Drei Wochen lang. 

In Gedanken formulierte ich bereits eine Suchanzeige inklusive Finderlohn. Erinnerte mich an die Posse um Manuel Neuer. Wollte definitiv nicht knauserig sein. Irgendwas zwischen 50-100 € hätte ich mir die Freude des Wiedersehens sicherlich kosten lassen. 

Irgendwas sagte mir aber, dass ich doch unterbewusst wie bewusst immer darauf achte, dieses Mäppchen nicht zu verlieren. Gerade weil es einen so hohen ideellen Wert für mich hat. 

Im Auto hatte ich gestern Nachmittag dann eine Art Flashback. Es war dieser eine heiße Tag Anfang Juli gewesen, an dem ich kurzentschlossen doch eine andere Handtasche genommen hatte, weil sie besser zu den Schuhe passte. Danach hatte ich sie wieder ganz nach hinten geräumt, weil ich sie so selten benutze. Sollten wir aber beide zweimal nicht tief genug gewühlt haben? 

„Du hast gesagt, da muss ich nicht gucken! Und dann hast du den Schrank zugemacht.“
Mea culpa, mea maxima culpa. 

Und mea fortuna. Da war es. Unversehrt. Allerdings, so glaubte ich, schaute es ein bisschen vorwurfsvoll. 
Die nächsten 25 Jahre passe ich wieder auf. Versprochen.

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Kommentare: 1
  • #1

    GrueneRonja (Donnerstag, 04 August 2022 19:56)

    Das Problem mit der Tasche habe ich zum Glück nicht. Obwohl ich mitlerweile schon drei (!) besitze. eine für die Arbeit, eine für privat und meine Tardistasche, die wunderschön, aber zu klein für ein Buch ist.
    Ich bin froh, daß du dein Etui und Füller wiedergefunden hast. Ich kann nachvollziehen, wie groß der Verlust gewesen sein muss. Und die Wiedersehensfreude.