Frau Möller wird sich wundern

Ein Mord. In Eschberg.

Verwirrende Spuren und noch nicht einmal die Leiche wird gefunden.
Moritz und Magnus machen beim Joggen eine unliebsame Entdeckung und werden widerwillig in den Fall verwickelt.

 

Die Kurzgeschichte „Frau Möller wird sich wundern“ ist ein kleiner Sidekick zu Band zwei und kann unabhängig zur Reihe gelesen werden. 

Wer noch keinen Teil der Eschberg-Reihe gelesen hat, läuft Gefahr, ein wenig gespoilert zu werden. 

 

„Justus, Jonas, bei Fuß!“, gellte Magnus Brandts Stimme durch den Forst. In vollem Lauftempo kostete es ihn unnötige Anstrengung, die beiden Weimaraner zurückzubeordern.

 

„Die hören doch sonst aufs Wort“, wunderte sich Moritz von Eschberg und versuchte, das Bellen zu orten. „Lass uns mal links abbiegen, ich glaub, es kam von dort!“

 

„Ich frag mich“, schnaufte Magnus und wischte den Schweiß aus dem Gesicht, „warum die erst ausbüxen und dann rumjaulen!?“

 

Erneut ertönte das zweistimmige Geheul, näher als zuvor, aufgeregter. „Irgendwas ist da im Busch“, brummte Magnus und blickte missmutig auf die Lauf-App. „Verdammt, wir lagen so gut in der Zeit ...“

 

„Wir sollten hier ein Stück querfeldein nehmen, ich glaub, ich seh die beiden ...“, wies Moritz mit langem Arm in die Dämmerung. „Ich hab’s prinzipiell nicht so mit Hunden, keine Ahnung, warum die so ein Theater machen.“

 

„Ich ja eigentlich auch nicht. Nur Wilhelm zuliebe nehm ich die beiden hin und wieder zum Laufen mit ... Denen fehlt sonst die Bewegung am Stück. Aber eigentlich sind die beiden –“

 

„Da!“, unterbrach Moritz ihn und deutete auf die umgestürzte Eiche, vor der Justus und Jonas hektisch umhersprangen, bellten und – zur Verwunderung ihrer beiden Begleiter – knurrten.

 

Längst hatten sie ihr Tempo gedrosselt, keuchten aber und sahen ihren Atem in der kühlen Abendluft kondensieren. „Justus, Jonas, aus!“, wies Magnus aus gut hundert Schritt Entfernung die Hunde an. Beide gaben noch einmal kurz Laut und verstummten dann. Machten Sitz. „Immerhin reagieren sie jetzt“, seufzte er, griff nach den Leinen, die er sich umgeschnürt hatte, und schreckte auf, als Moritz ihn in den Arm stieß.

 

„Da steht jemand!“

 

Sofort nahmen sie den Laufschritt wieder auf und eilten zur Eiche.

 

„Ich ... ich ... ich nehm alles wieder mit! Aber – pfeifen Sie diese Bestien zurück!“, stammelte der Mann.

 

„Wovon redet er?“, flüsterte Moritz.

 

„Davon!“, deutete Magnus auf die beiden blauen Müllsäcke, die aus dem in die Luft ragenden Wurzelwerk leuchteten.

 

 

 

***

 

 

 

„Au weia ... Da ist er ja an die beiden Richtigen geraten!“, lachte Elisabeth, als Moritz und Magnus die Ereignisse der letzten zwei Stunden für sie zusammengefasst hatten.

 

„Dabei ist bekannt, dass wir beide hier dauernd laufen gehen ...“, schüttelte Moritz ungläubig den Kopf. „Wer ist so blöd und versucht, in unserem Forst illegal Müll zu entsorgen?“

 

„Ich meinte zwar eher die Hunde, aber ... jetzt wo du es sagst. Magnus hat ja häufiger so ein Glück.“
„Du meinst, weil die Strafsache des Täters, der vorletztes Jahr mein Mountainbike geklaut hat, ausgerechnet in meiner Zuständigkeit landen sollte!?“

 

„Mhm“, kicherte sie. „Aber abgesehen davon ... Wieso haben Justus und Jonas eigentlich angeschlagen? Normalerweise sind die doch lammfromm ... ich meine ... die spielen mit unseren Jungs, als wären es rohe Eier und ... Hm.“ Nachdenklich stützte sie den Kopf in die Hand. Trank ihren Litschi-Tee aus. Legte die Stirn in Falten.

 

„Du meinst, weil die beiden nicht auf Vandalen abgerichtet sind!?“

 

„Ja ... Warum sollten sie im Wald jemanden verbellen? Wo im Übrigen, Herr Dr. Brandt“, erhob sie zynisch die Stimme, „eigentlich Leinenzwang herrscht!“

 

„Ähm, ich hab ihm das erlaubt“, verteidigte Moritz seinen Freund. „Normalerweise hören sie ja aufs Wort.“

 

„War auch nur Spaß, aber ich seh schon ... mit euch ist heute nicht mehr viel anzufangen. Ich bring die Zwillinge ins Bett. Holt Victoria dich ab? Es gießt inzwischen in Strömen.“

 

„Ich bring dich“, nickte Moritz Magnus zu.

 

„Fein, dann lass‘ uns aber auch so langsam, ich hab‘ morgen früh noch vor der ersten Verhandlung zwei Haftprüfungstermine.“

 

 

 

„Mich lässt Elisabeths Frage nicht in Ruhe“, murmelte Moritz, als sie die Villa verließen.

 

„Zwei Geniale, ein Gedanke ...“, zwinkerte Magnus. „Ich hab dem Ganzen keine Beachtung geschenkt, weil ich mich so über den ruinierten Lauf geärgert habe, aber prinzipiell ... Justus und Jonas haben sich nie an anderen Menschen oder Tieren im Wald gestört. Und in den Müllsäcken waren weder Fleischabfälle noch sonst etwas Auffälliges.“ Lag es nur daran, dass der Mann alkoholisiert gewesen war? Nervös? „Ich frag mich, warum der das nicht einfach für drei Euro am Wertstoffhof abgegeben hat.“

 

„Damit hat unser Förster leider immer wieder mal zu kämpfen. Deswegen hat er sich auch so gefreut, als wir endlich mal einen auf frischer Tat ertappt haben“, seufzte Moritz und schaltete den Scheibenwischer höher. „Ich hoffe mal, dass der Regen nicht bis Samstag anhält. Auf eine Baumpflanzaktion in Matsch und Modder hab ich wenig Lust.“

 

„Empfindlicher Blaublüter“, lachte Magnus.

 

„Sehr witzig“, brummte Moritz. „Mal unter uns, bei Sonnenschein macht sowas viel mehr Laune.“

 

„Hast ja recht. Angesagt ist eigentlich auch gutes Wetter. Vermutlich ist das nur ein Schauer ... “ Skeptisch blickte Magnus aus dem Fenster. Es war weniger das Wetter, das ihn störte. Gegen Regen konnte er sich schützen, gegen Kälte ebenfalls. Jedoch nicht gegen die Maschinerie, die in seinem Kopf unwillkürlich in Gang geraten war.

 

 

 

***

 

 

 

„Herr Dr. Brandt, ich habe da noch eine Sache, die ich gern mit Ihnen besprechen würde, eine ungewöhnliche personenstandsrechtliche Angelegenheit.“

 

Stirnrunzelnd nippte Magnus an seinem Kaffee. „Frau Möller, wir kennen uns jetzt seit knapp drei Jahren und wenn jemand in puncto Personenstandsrecht als bewandert gilt, dann Sie! Was bitte kann ich beitragen?“

 

„Es geht um eine Auslegung des Verschollenheitsgesetzes. Der Antrag bezieht sich auf das gewaltsame Verschwinden eines achtunddreißigjährigen Unternehmers, Gabriel Körner.“

 

„Der Fall war in den Medien, ja. Er wurde bei einem Angelausflug überfallen und gekidnappt. Wieso gibt es dazu jetzt einen personenstandsrechtlichen Antrag?“

 

„Na ja, trotz Lösegeldzahlung ist er nicht wieder aufgetaucht, seine Frau möchte ihn nun für tot erklären lassen.“

 

„Verstehe. Das Ganze ist aber doch erst ... lassen Sie mich nicht lügen ...elf, zwölf Monate her?“

 

„Zwölf, ganz richtig. Zumindest ab dem Tag des Verschwindens. Die Geldübergabe fand erst nach drei Wochen statt.“

 

„Wer genau hat den Antrag gestellt?“

 

„Die Ehefrau selbst“, erklärte sie und legte ihm die Akte mit den eingereichten Dokumenten vor.

 

„Seltsam, ich hätte vermutet, dass sie sich bei so etwas die Hilfe einer Kanzlei holt.“

 

„Wenn ich es richtig verstanden habe, gab es juristischen Beistand durch den Prokuristen der Firma des Verschollenen. Wie sonst sollte Frau Körner auch darauf kommen, einen ‚anderen Unglücksfall‘ anzunehmen und damit die Frist für die Todeserklärung von zehn Jahren auf ein Jahr zu reduzieren?“

 

„Na ja, Google is your friend ... Das schafft sogar mein Neffe Henry. Und der ist erst sechs.“
„Ihr Neffe ist hochbegabt, das vergessen Sie hin und wieder gern, oder?“, lachte sie.

 

„Wohl wahr“, schmunzelte Magnus. „Was ich aber eigentlich sagen wollte ist, dass sie mit zwei Mausklicks die Voraussetzungen recherchiert haben kann. Meines Erachtens ist es nicht abwegig, Frau Körners Auffassung zu teilen. Die Entführung war gewaltsam, man darf – insbesondere unter Berücksichtigung der Erpresserschreiben mit Todesdrohung – von Lebensgefahr ausgehen, in der sich Gabriel Körner befunden hat. Ich sehe mir aber gern vergleichbare Fälle und die Rechtsprechung dazu an, wenn Ihnen das hilft!?“

 

„Ich habe nächste Woche Urlaub, lassen Sie uns danach noch einmal darüber sprechen?“

 

„Kommt mir entgegen.“

 

 

 

Ein Puzzleteil hatte sich an ein anderes gefügt. Nur, welches Bild ergab sich? Magnus hatte den Eindruck, nur Randstücke zu erwischen, einen Streifen des blauen Himmels und ein paar Bäume. Wieso nur sah er den Wald nicht?

 

 

 

***

 

„Matsch und Modder ...“, brummte Moritz, „wie ich es hasse.“

 

„Wenigstens regnet es nicht“, grinste Magnus und legte sich den Spaten über die Schulter.

 

„Und selbst wenn, es ist für einen guten Zweck“, belehrte Elisabeth ihren Mann und griff sich ein paar junge Kirschbäume, die sie ein paar Meter weiter zur Aufforstung setzen wollten.

 

„Und es ist euer eigener Forst“, ergänzte Victoria. „Also stell dich nicht so an. Du warst doch sonst auch nicht so empfindlich.“

 

„Beim letzten Social Day hatte ich aber auch noch keine Aigle Boots ...“, monierte Moritz. „Die sind viel zu schade, um sie hier zu verschmutzen. Guter Zweck hin oder her.“

 

Kopfschüttelnd blickte Magnus erst auf seine, dann auf Moritz‘ Füße. „Moe, das sind Gummistiefel. Nach wie vor. Einmal drübergewischt und schon sind sie wieder frisch wie der junge Morgen.“

 

„Das sind nicht einfach nur Gummistiefel, das sind –“

 

„Fast dreihundert Euro teure“, kicherte Victoria und Elisabeth vollendete den Satz: „Parcours Signature Deux.“

 

„Macht euch ruhig lustig ...“

 

„Erledigt“, küsste ihn Elisabeth auf die Wange und deutete auf die Kirschbäume. „Und jetzt ab an die Arbeit! Und du auch, Herr. Dr. Brandt!“

 

„Ja, gleich“, nickte Magnus. Schloss für einen Moment die Augen. Sog die feuchte, schwülwarme Waldluft ein, die nach Laub und Moos duftete, und ­–

 

„Moritz, zeig mir nochmal deinen Stiefel, bitte ...“

 

 

 

„Wir müssen wieder zur umgestürzten Eiche, das ist nicht weit von hier!“, überlegte Moritz laut, außer Hörweite ihrer Frauen. Nachdem Magnus ihn in seine Überlegungen eingeweiht hatte, war er wie elektrisiert und sprühte vor Tatendrang. Unruhig lief er vor Magnus auf und ab.

 

„Das lassen wir lieber die Polizei machen ... Ich bin Richter, ich darf mich in die Exekutive nur sehr begrenzt einmischen“, beschwichtigte er. Bedeutete Moritz, er solle sich neben ihn auf die Bank setzen und Ruhe bewahren.

 

„Stimmt, da war was ... Wobei, du wechselst doch bald in die Legislative, dann hättest du Erfahrung in allen drei Gewalten in deiner Vita zu verzeichnen.“

 

„Ha-ha“, entgegnete Magnus zynisch. Hob die Augenbraue. Grinste.

 

„Aber jetzt mal ohne Flachs, reicht das aus?“

 

„Ein begründeter Anfangsverdacht. Die Kripo soll die Stelle noch mal genauer absuchen und den Müllvandalen gegebenenfalls vernehmen. Der sah eigentlich nicht so aus, als hätte er sich die Stiefel von Aigle leisten können.“

 

Vor seinem inneren Auge rief Magnus sich den Montagabend auf, als sie der Polizei geholfen hatten, den Müll zum Auto zu tragen. Einer der Säcke war gerissen und hatte einen platten Fahrradschlauch sowie einen schmutzigen Gummistiefel zum Vorschein gebracht. Einen ziemlich teuren, schmutzigen Gummistiefel.

 

„Siehst du? Sag ich doch!“, deutete Magnus auf das Handydisplay. „Google is your friend.“

 

„Seltsames Hobby. Angeln ...“, erwiderte Moritz.

 

„Für dich vielleicht. Sein Unternehmen ist mit dem Vertrieb von exklusivem Angelzubehör und Abenteuerurlauben in der Hochseefischerei erfolgreich geworden – und hat ihn zum Millionär gemacht. Da liegt das ziemlich nahe.“

 

Mit faltiger Stirn las sich Moritz die Vermisstenanzeige durch. „Tatsache. Körner hatte Aigle Boots am Tag seines Verschwindens an. Oder zumindest dabei, als er mit dem Fahrrad zum Angeln gefahren ist.“

 

„Dummerweise hat die Polizei dem Vandalen den Müll wieder mitgegeben und nur ein Bußgeld kassiert. Aber die Personalien müssten vorliegen.“ Gedanklich schob Magnus ein paar der Bilder aneinander, die sich ihm aufdrängten. „Vermutlich ist der Müll inzwischen entsorgt, die Kripo wird wohl keine DNA-Spuren mehr sichern können.“

 

„Glaubst du, der Müllvandale hat was mit dem Mord an Körner zu tun?“, fragte Moritz ganz aufgekratzt. Seine Gedanken waren offensichtlich in eine andere Richtung abgedriftet.

 

„Wer redet denn von Mord? Offiziell ist er nur verschwunden. Wobei ­–“ Heiß und kalt lief es Magnus den Rücken hinunter. „Sandra Körner wollte ihren Mann für tot erklären lassen und hatte es ziemlich eilig damit.“

 

 

 

Mit beherztem Tritt stampfte Moritz den Boden um das Kirschbäumchen fest. Ihre Abwesenheit war aufgefallen und Victoria hatte sie zur Arbeit zurückgeholt. „Die Bäume für den Trinkwasserwald pflanzen sich nicht von selbst.“

 

Immerhin hatte sie die beiden wieder allein gelassen, so dass Moritz laut grübeln konnte. „Wer hat damals die drei Millionen Euro Lösegeld gezahlt?“

 

„Sandra Körner ...“

 

„Steht sie damit also unter Mordverdacht?“

 

„Moritz, wir reden immer noch nicht von Mord ...“

 

„Wann denn?“

 

„Wenn wir wissen, dass es kein Totschlag oder natürliches Ableben war. Oder Körperverletzung mit Todesfolge ... Wenn er überhaupt an irgendwas gestorben ist.“

 

„Stimmt. Wir haben noch nicht mal eine Leiche ...“, schmollte Moritz.

 

„Und das ist auch gut so! Einerseits.“ Inzwischen rotierten die Einzelbilder in Magnus‘ Kopf wie in einem Diakarussell. Für ein großes Ganzes reichte es jedoch noch nicht.

 

 

 

***

 

 

 

„Die Sache ist wirklich etwas vertrackter“, erklärte die Kriminalbeamtin.

 

„Dürfen Sie mir denn erzählen, was bei der Vernehmung des Vandalen herauskam?“

 

„Ehrlich gesagt – keine Ahnung. Sie sind selber einerseits Zeuge, aber auch Direktor am zuständigen Amtsgericht ...“

 

„Und verdammt neugierig“, grinste Magnus.

 

„Pöhlmann wurde bezahlt, den Müll dort zu entsorgen. Er sagt, er habe Sperrmüll durchsucht, Downtown in der Talstraße, wo die Wohnbunker stehen.“

 

„Kenne ich. Da liegt dauernd was rum ... Legal, illegal ...“

 

„Mhm. Er sei angesprochen worden, als er das Metall von den Türbeschlägen einer Wohnzimmereinrichtung abgeschraubt hat. Ein unauffälliger Mann, Ende dreißig, Anfang vierzig, habe ihn gefragt, ob er was für ihn erledigen könnte.“

 

„Ich ahne etwas ...“

 

„Er hat ihm fünfzig Euro für die beiden blauen Säcke und das Fahrrad gegeben, mit der Auflage, dass das Trekking-Bike verschrottet wird und der Müll verschwindet.“

 

„Wie geht es jetzt weiter, Frau Bellinger?“

 

„Wir gehen anhand der Beschreibung zunächst davon aus, dass es sich um Körners Kleidung und Rad gehandelt hat. Pöhlmann konnte uns zu dem Auftraggeber nichts weiter sagen ... Er hatte wohl an dem Morgen schon ‚gut getankt‘ ...“

 

 

 

***

 

 

 

„Hast du schon gelesen?“, fragte Moritz mit Blick auf die Zeitung.

 

„Insolvenz. Körner droht der Bankrott. Falls du das meinst“, entgegnete Magnus am anderen Ende der Leitung. „Ich frag mich gerade nur, ob ich Mitleid mit Sandra Körner haben soll oder ob sie das –“

 

„Zur Mordverdächtigen macht!?“

 

„Moritz, von Mord reden wir erst, wenn –“

 

„Schon gut, schon gut. Also ist sie unschuldig.“

 

„Wahrscheinlich weder noch ...“

 

 

 

***

 

 

 

„Liebling ... Mal eine Frage“, begann Magnus, als er abends mit Victoria in der Küche stand, das Feuer im Kamin knisterte und der Merlot im Glas verlockend funkelte.

 

„Nein, du darfst nicht naschen“, lachte sie und schob die Mousse au Chocolat in den Kühlschrank.

 

„Sehr schade, aber ich wollte auf etwas anderes hinaus.“

 

„Oh je, Verhör-Ton“, seufzte sie.

 

„Nicht ganz ...“, zwinkerte er. „Es geht um diese spezielle Versicherung, die wir haben. Du weißt schon ...“

 

„Du meinst die Personenschutzsache?“ Stirnrunzelnd neigte sie den Kopf in seine Richtung. Kurz nach ihrer Heirat hatte es Drohungen gegeben und bei ihrem Vater Wilhelm war eingebrochen worden. Wohl oder übel hatten sie die Villa mit Sicherheitstechnik ausgestattet und auch in anderen Bereichen den Schutz erhöht. Ein Thema, das sie für gewöhnlich mieden. „Geht es um einen Fall oder betrifft es uns?“, fragte sie beunruhigt.

 

„Ein Fall“, hob er beschwichtigend die Hände. „In unserem Vertrag gibt es eine Lösegeldklausel, oder?“
„Ja, wenn es zu einer Entführung mit Erpressung kommt, zahlt die Versicherung die geforderte Summe.“

 

„Danke“, küsste er sie auf die Stirn, blickte mit einem Seufzer auf den Merlot und verabschiedete sich: „Bis gleich!“ Mousse, Muse und Muße mussten warten. Zumindest bis nach dem Telefonat.

 

 

 

***

 

 

 

„So wie es aussieht, kommt sie ohne ihren Anwalt ...“, stellte Klara Bellinger mit Blick aus dem Fenster fest.

 

„Umso besser“, entgegnete Magnus und räumte noch eine Akte von seinem Schreibtisch. Vor ihm lagen Sandra Körners Antrag auf Todeserklärung und ein hoffentlich aufschlussreiches Gespräch. Nach gemeinsamer Überlegung hatte die Kriminalbeamtin beschlossen, die vermeintliche Witwe zu einem persönlichen Termin im Amtsgericht zu bitten, damit diese die Dokumente, die den Tod ihres Mannes bestätigen würden, direkt mitnehmen konnte.

 

„Ich gehe dann mal an meinen Platz“, zwinkerte die Kommissarin und setzte sich im Vorzimmer an den Schreibtisch, der eigentlich Irene Scharnweber gehörte. Die wiederum weilte gerade im Urlaub und würde von der Spiegelfechterei später nur das Nötigste erfahren.

 

„Steht Ihnen“, winkte Magnus. Kommentarlos ließ er die Tür zum Vorzimmer offenstehen und begrüßte wenig später Sandra Körner.

 

„Ich habe zu Ihrem Antrag auf Todeserklärung noch eine abschließende Frage, Frau Körner.“

 

„Ja, alles was Sie wissen möchten. Sofern ich es beantworten kann“, entgegnete sie schüchtern. Anscheinend flößten entweder Magnus Brandts Statur und sein Auftreten ihr besonderen Respekt ein oder die Situation war ihr aus einem anderen Grund nicht geheuer. Jedenfalls saß sie mit schmalen Schultern und gesenktem Blick auf dem Stuhl und hielt angestrengt die Henkel ihrer Handtasche fest.

 

Betont lässig stand Magnus auf, setzte sich auf die Ecke des Schreibtisches und zog hinter dem Aktenwagen einen blauen Müllbeutel hervor. Öffnete ihn. Ein Hauch von Moos und Laub wehte in den Raum.

 

„Wollen sie die vielleicht mit auf die Cayman-Inseln nehmen?“, stellte er das verschmutzte Paar Gummistiefel auf die Akte Körner. Dreckklumpen fielen auf die Sterbeurkunde, das Papier weichte auf. Schlagartig wich die Farbe aus Sandra Körners Gesicht. Ihr Atem stockte. Panisch blickte sie zu ihm auf.

 

 

 

***

 

 

 

„Moritz hat ganze Arbeit geleistet“, reichte Magnus ihm die Aigle Boots an. Frisch geputzt und im Original-Staubbeutel.

 

„Schweren Herzens“, zwinkerte Elisabeth und grinste ihren Mann an. Der verstaute die Gummistiefel schnell wieder im sicheren Schuhschrank und setzte sich zu den dreien an den Tisch.

 

„Und? Wie hat dir dein kleiner Ausflug in die Kriminalistik gefallen?“, fragte Elisabeth gespannt.

 

„Reicht mir völlig in Sachen Exekutive!“, nickte Magnus und dachte mit Erleichterung an den Moment, als bei Sandra Körner die Handschellen geklickt hatten und Klara Bellinger ihm den „Daumen hoch“ gezeigt hatte.

 

„Aber wo, um alles in der Welt, hatte sich Gabriel Körner das ganze Jahr versteckt?“

 

„Zu Hause.“