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Vom Recht, nein zu sagen, von Diplomatie und Kultursensibilität.

 

Wir sind ja in Dinslaken einige What-the-fuck-Momente von der CDU gewohnt, aber der jüngste Skandal – hm, Skandal klingt etwas hart, aber vielleicht muss man das auch mal beim Namen nennen – um den Stadtverordneten und stellvertretenden Bürgermeister Horst Miltenberger hebt das Ganze auf ein neues Level. Schnappt euch ein Glas Kaninchenblut oder einen Becher Kaffee, ich nehme mir die Zeit und die Buntstifte, zu erklären, warum das mehr ist als eine Lappalie.

   

Worum geht’s?

 

Nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien am 06.02.2023 gab es viele Hilfs- und Spendenaktionen, insbesondere in Städten und Stadtteilen mit türkischen und türkischstämmigen Bürger*innen. In Dinslaken-Lohberg organisierten sich Privatpersonen, Vereine und Gemeinschaften innerhalb weniger Stunden nach dem Beben, Hilfsgüter und Spenden wurden gesammelt, ein Netzwerk aufgebaut und aktiviert.

Einer der Köpfe dieses Netzwerks ist Yasimin Zorlu, Inhaberin des kultursensiblen Pflegedienstes Kultura, die von vielen Seiten Unterstützung eingeworben und bekommen hat.

 

Wo andere von Hands-on-Mentalität reden, hat sie Hände, Füße und Mitarbeiter*innen in Bewegung gesetzt, Akkus und Powerbanks leertelefoniert, bis in die Nacht und mit Menschen, die man sonst nur aus dem Fernsehen und der Zeitung kennt. Herrn Miltenberger kennt man eher aus dem Rat der Stadt und als Vertreter des Dinslakener Bündnisses, aber auch mit ihm hat sie gesprochen, wie die NRZ berichtet. Es ging darum, dass das Bündnis, als Dinslakener Institution mit demokratischem, humanitärem Anspruch in die Kooperation mit einbezogen werden könnte, um der Hilfsaktion mehr Aufmerksamkeit und Reichweite zu geben. Was zu einem makellosen Beispiel Dinslakener Solidarität werden sollte, hat die hässliche Fratze von Voreingenommenheit, mangelnder Sachkenntnis und Arroganz gepaart mit Kartoffeligkeit und Starrsinn offenbart.

 

Eine Zusammenarbeit des Bündnisses mit den Lohberger Organisatoren der Hilfsaktion kam nicht zustande, da man „ein Problem damit habe, dass die Ditib daran teilnehmen würde. Eine Erdogan-Unterstützung ist nicht gewünscht und wird nicht unterstützt.“ 

 

Selbstverständlich hat das Bündnis jedes Recht, nein zu sagen oder Unterstützung in anderer Form anzubieten. Das muss man akzeptieren. Eine von Unwissen und Vorurteilen geprägte Antwort darf man aber gern herausstellen. 

 

Wieso kann man Ditib als problematisch empfinden?

 

DITIB ist eine Abkürzung für "Diyanet İşleri Türk İslam Birliği", auf Deutsch in etwa: "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion", der in Deutschland ca. 800.000 Gläubige angehören. Ditib ist ein eingetragener Verein, der allerdings in Leitung und Aufsicht dem staatlichen Präsidium für religiöse Angelegenheiten (Diyanet İşleri Başkanlığı) der Türkei untersteht, welches direkt dem türkischen Präsidenten untergeordnet ist. Verkürzt heißt es daher oft, dass Ditib der verlängerte Arm Erdoğans ist.

Hmtjanun. Es streiten sich Islam- und Rechtswissenschaftler seit Jahren darüber, inwiefern das stimmt und welche Auswirkungen das hat.

 

Fakt ist, dass aufgrund dieser Struktur die Ditib keine Körperschaft öffentlichen Rechts in Deutschland ist und es damit keine rechtliche Gleichstellung zu bspw. Evangelischer oder Katholischer Kirche gibt. In 2021 gab es eine Satzungsänderung der Ditib NRW, um diesen Status erlangen zu können, allerdings ist die darin enthaltene Distanzierung von der Mutterorganisation nicht eindeutig genug und nach türkischem Recht auch nicht so einfach möglich.

  

Die Ditib existiert seit fast 40 Jahren in Deutschland, das türkische Präsidium für Religionsangelegenheiten seit knapp 100. Gemessen am tausendjährigen Muff unter christlichen Talaren ist der Progress hier wirklich nennenswert. 

 

„Aber auch das machen die doch alles nur für und wegen Erdoğan.“

 

 

Kann man jetzt einwerfen.

Kann ich nicht bestreiten. Aber auch nicht belegen.

  

Aber, und das ist jetzt DAS Aber schlechthin:

Eine humanitäre Katastrophe ist nicht der Zeitpunkt, ein Volk in eine Art Geiselhaft zu nehmen, in dem man Hilfe verweigert bzw. die Spielregeln bestimmen will, nur weil es einen kontrovers diskutierten Präsidenten gewählt hat.

Das zeugt von null Verständnis und Respekt gegenüber den hilfsbedürftigen Bürger*innen in der Türkei und Syrien, von denen viele sicherlich genauso ungern mit Erdoğan leben wie viele von uns mit der CDU. Auch wenn die AKP und Erdoğan keine besonderen Freunde davon sind: die Türkei ist ein säkularer Staat. Dass die Trennung von Staat und Kirche nicht ganz so einfach ist, sehen wir in unserem eigenen Land doch auch; auch hier dominiert die Kirche den Feiertagskalender, diktiert die Verwendung von Steuergeldern und nimmt direkten Einfluss auf hochrangige Politiker. Selbst, wenn man nicht mehr in der Kirche ist bzw. keine Kirchensteuer mehr zahlt, zahlt man den ganzen Firlefanz mit. Ja, auch die Muslime. Die Juden. Die Buddhisten und Pastafari wie ich.

 

An dieser Stelle noch mal: Ja, natürlich hat das Bündnis das Recht, diese Hilfe im Sinne von Mitwirkung abzulehnen. Es geht mir rein um die Begründung und das Aufzeigen der Konsequenzen.

 

Vermische ich hier Äppel und Birnen?

 

Schön, dass das auffällt. Wieso fällt das aber nur nie auf, wenn unsere geschätzten Stadtverordneten das machen? Ja, ich vermische hier Herrn Miltenberger vom Bündnis mit dem Herrn Miltenberger von der CDU und dem Herrn Miltenberger, der stellvertretender Bürgermeister ist, da es sich um ein und dieselbe Person handelt, die auf mehreren Hochzeiten alles mögliche tanzt, vermutlich aber nicht den Halay. Insofern verzeihe man mir, dass ich diese Positionen hier so fröhlich vermische wie das Bündnis Ursache und Wirkung.

 

Die Gemeinde der DiTiB Dinslaken Selimiye Camii hat um Hilfe gebeten für Freunde und Verwandte in der Türkei und – auch das wurde bei der Veranstaltung auf dem Johannesplatz immer wieder betont – die Opfer in Syrien. Kaum jemand vor Ort, der nicht direkt oder um wenige Ecken durch Verluste betroffen war. Ja, was in der Türkei an Korruption und Bausünden gelaufen ist und nun mehr als 50.000 Menschen das Leben gekostet und mehr als 125.000 verletzt hat, ist das Verschulden der Regierung Erdoğans. Auch die Inkompetenz der AFAD ist dem Anschein nach ihm zuzuschreiben. 

 

Geld und Hilfsgüter, die in die Türkei gehen, gehen in „das System Erdoğan“. Sie gehen aber auch an die Menschen, die gerade alles verloren haben, bei Frost ohne Dach über dem Kopf und Hunger leidend, verletzt und gebrochen sind. Denen vielleicht noch ihr Glaube geblieben ist und denen nun eine Hand gereicht wird, die zu einem progressiven Arm ihrer Kirche gehört.

 

Mitglieder der DiTiB Dinslaken Selimiye Camii sind in die Türkei gereist, um zu helfen, um sich zu überzeugen, dass die Spenden dort ankommen, wo sie hinsollen, und nicht irgendwo versickern. Jeder privat gespendete Euro ist einer, der nicht an Staatshilfe benötigt wird. Jeder Euro, der keinen Umweg nimmt, hilft mehr, als einer, der erst einen riesigen Apparat an Menschen bezahlen muss, die ihn verwalten.

 

Was mir in der Debatte um die Ditib komplett fehlt, ist der Mut zu und der Sinn für Dialektik. Zwei Argumente nicht gegeneinander auszuspielen und unbedingt ein Urteil fällen zu wollen, sondern sich damit so zu beschäftigen, dass man sie gleichwertig nebeneinander stehen lassen kann.

Wenn wir so argumentieren, wie Herr Miltenberger für das Dinslakener Bündnis, also frei übersetzt „bitte nur ohne die Ditib, die sind da zwar vernetzt und können helfen, aber mit denen kann man sich ja nicht sehen lassen, weil die Erdoğans Ideologie befürworten“, dann dürfte man auch keine Gedenkgottesdienste mehr in/mit der katholischen Kirche abhalten und kein evangelisches Krankenhaus mehr aufsuchen.

 

Manchmal muss man auch erst selbst ein gutes Beispiel sein, gemeinsame Werte stärken, um später besser an seinen Differenzen arbeiten zu können. Hier wurde ein für Dinslaken historischer Moment einer möglichen Handreichung ruiniert, indem Solidarität verweigert wurde.

 

Wieso vertraue ich den Worten von Yasimin Zorlu? Warum bin ich so sicher, dass er das wirklich so gesagt hat?

 

Sie hat keinen Grund das zu erfinden, es gibt für sie keine Not, sich „wichtig zu machen“. Als beratendes Mitglied des Integrationsrates hat sie versucht, Nicht-Betroffene ins Boot zu holen und unbürokratisch schnell Hilfe zu vermitteln. Die Anerkennung der Betroffenen wie auch empathischen Mitbürger*innen ist ihr gewiss, sie weiß, was sie und die Organisator*innen geleistet haben.

 

Sie passt leider zu sehr ins Bild, die –  zugegeben offene und ehrliche – Antwort, die eine Ideologie über den guten Zweck stellt, auch nur einer Ideologie entspringt. Statt einen guten Kompromiss zu suchen, weil man wirklich helfen will, schiebt man das Anliegen ganz undiplomatisch ab.

Dass sich die CDU ausdrücklich als christlich bezeichnet, beruht übrigens auf dem Entschluss der Partei, sich dem christlichen Menschenbild ausdrücklich verpflichtet zu erklären. Die genaue Definition des „christlichen Menschenbildes“ ist die CDU uns allerdings nach wie vor seit dem Parteiprogramm von Neheim-Hüsten 1946 schuldig, aber auch dazu haben schon wesentlich klügere Köpfe was geschrieben. 

 

Wenn man Begriffe wie „kultursensibel“, „woke“ und „Nächstenliebe“ nicht mit Inhalt füllen kann, wird es Zeit, mal über den Tellerrand zu gucken. Mich beschämt, dass ich als Bürgerin der Stadt Dinslaken von Stadtverordneten vertreten werde, die in der Bebauung der Trabrennbahn eine Jahrhundertchance sehen, aber nicht in der Bereitung eines gemeinsamen Weges der Solidarität und Humanität. Es ging offenbar nicht um Hilfe, sondern um Prestige – auf die nun zu erwartende Nonpology bin ich arg gespannt.

  

Wenn also schon die Sache mit dem Christlichsein der CDU so schwerfällt, verwundert es nicht, dass die Nächstenliebe nicht bis in ein muslimisch geprägtes Land reicht. Zum Vorschlag Herrn Miltenbergers, man hätte ja Herrn van Meerbeck dort sprechen lassen können, fällt mir absolut nix ein.

 

Sorry. Hätte euch da gern mit einem flotten Spruch belustigt.

 

Ich würde ja zu gern mal ein gutes Haar an der Dinslakener CDU lassen, aber irgendwie … kann ich bei dieser Sachlage genauso wenig über meinen Schatten springen wie ein Blauwal. Die Absage war hier nur die Spitze des Eisbergs, der im Sumpf der Dinslakener Politik treibt.

 

Ich wünsche mir von Horst Miltenberger, dass er reflektiert, dass er dem Amt als stellvertretender Bürgermeister schadet, wenn er ohne sorgfältig zu differenzieren ein solches Hilfegesuch derart undiplomatisch behandelt. Vielleicht glätten sich die Wogen ja noch und wer weiß, eventuell wird ihm ja die Ehre zuteil, dieses Jahr an Frau Zorlu oder Vertreter*innen der DiTiB Dinslaken Selimiye Camii einen Ehrenamtspreis zu überreichen und im Anschluss ein kleines Tänzchen mit ihr/ihnen zu wagen.

 

Peace.

 

Frieden in der Heimat, Frieden in der Welt. Peace-Zeichen aus Türkischen Lira.
Frieden in der Heimat, Frieden in der Welt. Peace-Zeichen aus Türkischen Lira.

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Kommentare: 2
  • #1

    Via (Dienstag, 07 März 2023 00:52)

    Warum nicht einmal human, klar und einfach...

    Machtspiele immer und überall

  • #2

    Volker (Freitag, 10 März 2023 06:53)

    Liebe Larissa Schwarz!
    So sehr ich Deine veröffentlichte Meinung sonst schätze, hast du meiner Meinung nach diesmal übers Ziel hinausgeschossen. Vielleicht kann man ja mal irgendwann drüber diskutieren.

    However... good luck und
    bis die Tage!

    Volker